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Arbeiterlos oder arbeitslos

■ Angestelltenkammer zeigt Fotos zum Thema Zeit und Arbeit

Zeit: Wer vom Arbeitgeber bösartig gefeuert wurde, hat sie im Überfluß und entscheidet sich vielleicht in einem kontemplativen Zeitloch für einem Besuch der Angestelltenkammer zwecks Rechtsberatung für 20 Mark. Dort beschäftigen sich nicht nur JuristInnen mit der geliebten, gehaßten neuen freien Zeit, sondern auch Peter Beier, der Kulturreferent. Er begleitet eine pragmatische Vortragsreihe der Angestelltenkammer über Teilzeitarbeit durch eine zweite philosophischere Vortragsreihe über die Zeit. In deren Rahmen wird im September auch der amerikanische Soziologe Richard Sennett kommen, der durch die Prägung des Begriffs vom „Terror der Intimität“ Berühmtheit erlangte.

Schon vor zwei Monaten allerdings begann eine Serie von sieben Foto- und Videoausstellungen zum flüchtigen Thema. Die dritte Ausstellung bietet während des ganzen Augusts die Chance, sechs Männern im Rentenalter zu begegnen. Der Bremer Fotograf Sebastian Otto hat jeweils ihre Gesichter, ihre Hände und ihre Werkzeuge zu sechs Triptychen der Vergänglichkeit arrangiert. Vorsintflutlich sind Schweißgerät, Hobel, Druckplatte und Schusterleiste; zerknittert Hände und Gesichter. Das lebenslange, vorprogrammierte Wuseln der Hände trieb dicke Adern aus der Haut. Bestimmender als eine Ehe dürfte die Wechselwirkung zwischen Arbeit und Körper sein. Und zwischen Arbeit und Seele: Mit höchst unterschiedlichem Blick, feste, scheel, aber auch abgewandt, schauen die Menschen aus ihren Bildquadraten. Jeder steht seinen Ruhestand auf seine Weise. Doch alle sechs strahlen Würde aus – und erwecken Mitleid. Leben an der vordersten Produktionsfront ist immer auch geklautes Leben. Vielleicht geht der seines Arbeitsplatzes beraubte Besucher der Kammer ein wenig beruhigter nach Hause. Das Arbeiterlos ist nicht immer besser als arbeitslos zu sein. bk

Bis 28. August, Bürgerstr. 1

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