: Internet: Selbstkontrolle statt Zensur
■ PDS und Datenschützer diskutierten über Zensur im Internet / Einigkeit: Überwachungs-Pläne von Kanther gehen zu weit
Wer sich auf eine erotische Homepage klickt, kann bislang sicher sein, daß seine Datenspur automatisch gelöscht wird. Das Telekommunikationsgesetz erlaubt nur, diese Daten so lange zu speichern, bis die Telefonrechung erstellt ist. Das soll sich nach dem Willen des Bundesinnenministeriums ändern – mit weitreichenden Folgen, wie der Bremer Landesbeauftragte für den Datenschutz, Dr. Stefan Walz, bei der PDS-Veranstaltung „Zensur im Internet?“ am vergangenen Dienstag warnte.
Wieviel Kontrolle braucht das Internet? Möglichst wenig, fordern Wirtschaftsverbände und Bürgerrechtler, damit sich elektronischer Handel und Informationsaustausch ungestört entwickeln können. Die Kehrseite der Freiheit und der Ano-nymität im Netz ist nach Ansicht des Bundesinnenministers und einiger besorgter Netz-Nutzer der Mißbrauch des Internets durch Anbieter von Kinderpornographie und andere Kriminelle. „Die schiere Masse der Daten und die Struktur des Internets macht es praktisch unmöglich, etwas wirksam zu zensieren,“ sagte die PDS-Politikerin Angela Marquardt.
Machtlos müssen die Ermittlungsbehörden dem Treiben im Netz aber nicht zusehen. Denn hinter allen Nazi-Parolen und Schmuddelbildern, die angeboten werden, stehen reale Personen, die sie erstellt haben. Und an die kommen die Ermittler ran. Die Telekom, die Betreiber von Mobilfunknetzen, Online-Dienste, Mailboxen und Internet-Provider müssen dafür sorgen, daß die Ermittlungsbehörden jederzeit Zugriff auf ihre Kundendaten haben. Der Internetverkehr eines Verdächtigen kann mit richterlicher Erlaubnis abgehört werden wie ein Telefon.
Die Pläne des Bundesinnenministeriums gehen aber weiter: Man würde gerne Telekommunikationsanbieter verpflichten, die Verbindungsdaten aller Nutzer für unbegrenzte Zeit zu speichern. So könnten auch im Nachhinein die Benutzer von Kinderpornografie zur Rechenschaft gezogen werden.
Dafür aber würde eine riesige Datensammlung entstehen. Und die bereitete am Dienstag vielen Kopfschmerzen. „Wenn dieser Datenpool dann nach verdächtigen Begriffen und Verbindugen durchsucht wird, haben wir die automatisierte Überwachung,“ befürchtete der Bremer PDS-Bundestagskandidat Klaus Rainer Rupp. Angela Marquardt wies darauf hin, daß auch sie schon aus Recherchegründen die Homepages von Neonazis besucht habe. „Das wäre doch widersinnig, wenn ich deswegen als Rechte registriert würde.“
Bedenken hatte auch Datenschützer Walz: „Das wäre dann tatsächlich eine neue Qualität bei den Überwachungsmöglichkeiten.“ Wer die Playboy-Homepage, Schwuleninfos oder Nazipropaganda abruft, wäre mit einfachen Programmen sofort zu erkennen. „Da sind wir sehr nah dran an Persönlichkeitsprofilen,“ sagte Walz. „Die Anbieter können ohnehin zur Rechenschaft gezogen werden. Aber alle Abrufer eines bestimmten Inhaltes wahllos zu registrieren, ist aus der Sicht der Datenschützer strikt abzulehnen.
Wer Kinderpornos ins Netz bringt, macht sich genau so strafbar wie jemand, der ein Kinderpornoheft druckt. Der Vorstoß des Innenministeriums richte sich laut Walz gegen die Vermittler, also die Internetprovider. „Maßstab muß aber sein, was heute erlaubt ist“, betonte er und kritisierte die Verurteilung des Compuserve-Geschäftsführers Felix Somm wegen der Beihilfe zur Verbreitung von Kinderpornographie: „Wir müssen hier aufpassen, daß die gesetzlich festgelegten Öffnungen nicht durch strafrechtliche Sanktionen aufgehoben werden.“ Walz empfahl, die Internet-Kultur weiter zu entwickeln, statt immer nach der Polizei zu rufen. „Die Nutzer und die Anbieter müssen selbst Mechanismen entwickeln, um Regeln im Netz durchzusetzen.“
Lars Reppesgaard
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