piwik no script img

„Mal richtig mit Tempo 200 fahren“

Hamburger Fahrlehrerverband gibt blinden Menschen Fahrunterricht  ■ Von Kai von Appen

Für die einen ist es Fortbildung, für die anderen ein riesiger Spaß und eine wichtige Erfahrung: die Übungsstunden des Hamburger Fahrlehrerverbandes für die TeilnehmerInnen des internationalen Blinden- und Sehbehindertencamps der Hilfsorganisation „Young Leons“ auf dem Übungsplatz der Verkehrswacht in Rothenburgsort.

Für Hamburgs Fahrlehrer sind diese Trainings mit Blinden schon seit Jahren zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Fortbildung geworden. Daher war es auch unproblematisch, während der eigentlichen Arbeitszeit zehn freiwillige FahrlehrerInnen für diese Veranstaltung zu gewinnen. „Es ist für uns wichtig, diese Dinge in die Ausbildung von Fahrschülern einfließen zu lassen“, begründet der Vorsitzende des Fahrlehrerverbands, Hans-Detlef Engel, das Engagement seiner Kollegen. „Wir müssen begreifen, was für einen Einschnitt an Mobilität Blindheit bedeutet.“

Aufgrund dieser Erfahrungen hatte sich der Verband in Hamburg zum Beispiel gegen die Einführung der alten DDR-Regelung – bei Rotlicht ist das Rechtsabbiegen erlaubt, wenn kein Verkehr ist – erfolgreich stark gemacht: „Blinde orientieren sich am Verkehr“, erläutert Engel, „wenn dann ein Auto kommt, das eigentlich nicht kommen dürfte, dann liegt man drunter.“

Aber auch für die Übenden ist das Fahrtraining nicht nur Spaß, sondern auch eine wichtige Erfahrung. „Das Auto ist für Blinde eigentlich zum Fürchten“, erläutert Verkehrswachtchef Hans-Jürgen Vogt. „Derartige Veranstaltungen sind daher nützlich, um das Auto aus einer anderen Sicht kennenzulernen.“ Er habe mal einen Schützling gehabt, der bis zuletzt behauptete, „ein Auto ist 16 Meter lang, bis er selbst am Steuer saß“.

Daß Blinde beim Fahrtraining für Sehende ungewohnte Fähigkeiten beweisen, weiß auch Engel zu berichten: „Ich hab mal mit einer Frau hier geübt, der sagte ich bei der dritten Runde ,Jetzt rechts'“, erinnert sich der Fahrlehrerchef beeindruckt. „Sie antwortete: ,Weiß ich doch!' Sie hatte es an einer Bodenwelle gemerkt und die Route erkannt.“

Fahrlehrer Thorsten Ziercke zeigt sich dann auch nach der Fahrstunde mit Schülerin Katarina Bertram beeindruckt. „Es hat sehr viel Spaß gemacht“, schwärmt Ziercke über seine Schülerin. „Frau Bertram hat sehr viel Gefühl entwickelt, anders als Sehende.“ Nur zu Anfang habe er ihr bei der Benutzung der Pedale geholfen – Gas, Bremse, Kupplung , danach habe er sich auf kurze Anweisungen beschränkt. „Es war ganz große Klasse.“

Für Katarina Bertram war die Fahrt über den Parcours ein Erlebnis, das sie lange nicht vergessen wird: „Ich bin das erste Mal gefahren“, schildert die junge Frau ihre Eindrücke, „das kann man einfach nicht beschreiben.“ Nur eines habe ihr gefehlt: „Mal richtig mit 200 Sachen zu fahren und zu sehen, was in dem Wagen steckt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen