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„Mit dem Rücken an der Wand“

■ Weyburn Bartel in Rellingen: IG Metall-Streik erfolgreich. Konflikt bei Berkemann in Lokstedt spitzt sich zu

Der Streik der Weyburn Bartel-Belegschaft in Rellingen um Qualifizierung geht erfolgreich zu Ende. Bei den gestrigen Verhandlungen über einen Interessenausgleich haben sich die Firmenleitung und die IG Metall sowie der Betriebsrat des Nockenwellenherstellers überraschend auf ein Mischpaket geeinigt. Danach wird die für Jahresende geplante Betriebsstillegung auf Ende 1999 verschoben, alle MitarbeiterInnen werden bei vollem Lohn weiterbeschäftigt.

Das Unternehmen verzichtet per Tarifvertrag auf Repressalien gegen die Streikenden. Während der kommenden 18 Monate haben die 85 Beschäftigten laut Sozialplan einen Rechtsanspruch auf Qualifizierungsmaßnahmen oder Vorruhestand ab dem Alter von 57,4 Jahren. Sollten Ende 1999 noch Mitarbeiter ohne Job sein, tritt ein Härtefonds in Kraft, aus dem Fortbildung und Abfindungen finanziert werden. „Das ist zwar kein Haustarifvertrag, aber eine Tarifvereinbarung“, kommentiert IG Metall-Sekretär Uwe Zabel das Abkommen. „Angesichts der Ausgangslage wurde durch den Arbeitskampf ein hervorragendes Ergebnis erreicht“, ergänzt Hamburgs IG Metall-Bezirksstreikleiter Hartmut Schulz.

Der Vereinbarung war ein 24 Stunden langer Tarifpoker vorausgegangen, in dem die Leitung des US-amerikanischen Mutterkonzerns Federal Mogul zwischenzeitlich angedroht hatte, die gesamte Sparte Nockenwellenproduktion des Konzerns an einen Konkurrenten zu verscherbeln. Die schnelle Einigung kam jedoch deshalb zustande, weil der Konzern kräftig unter Druck gestanden hat. So ist es nach taz-Informationen bereits bei Motoren-Herstellern zu Produktionsstillständen gekommen, weil den Kunden die Nockenwellen aus Rellingen ausgegangen sind. Die Belegschaft wird heute per Urabstimmung über die Annahme des Ergebnisses entscheiden.

Hingegen spitzt sich die Lage beim Hamburger Einlagen- und Schuhartikelhersteller Berkemann in Lokstedt zu. Nach der Blockade des Werks am Mittwoch hat die Geschäftsführung des zum Bauerfeind-Konzern gehörenden Betriebs gestern gedroht, das heutige Einigungsstellenverfahren über Interessenausgleich und Qualifizierung zu boykottieren. Wenn der Betriebsrat die Belegschaft nicht ruhigstelle, werde der Konzern für das Lokstedter Werk Konkursantrag stellen.

„Ohne Auffanggesellschaft und Qualifizierungsmaßnahmen haben die meisten Kollegen keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt“, klagt Betriebsrat Helmuth Jensch. Daher sei die Drohung eine klare „Erpressung“. Zwar werde sich die Belegschaft heute ruhig verhalten, so beteuert Jensch, „um guten Willen zu demonstrieren“. Falls es heute aber zu keiner Einigung komme, würden sich die Beschäftigten die „Hinhaltetaktik“ nicht mehr gefallen lassen.

Bereits am Montag könnte die Produktion lahmliegen. „Das ist zwar ein wilder Streik“, erklärt Jensch, „die Leute stehen aber mit dem Rücken an der Wand.“ Der Konzern will die Produktion nach Remscheid und Ungarn verlagern und an der Elbe 130 Arbeitsplätze abbauen. Kai von Appen

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