Engagement auf Zeit mit Spaßelementen

■ Die Formen des Jugendprotestes haben sich verändert. Die Aktionen sind pragmatischer und weniger verpflichtend. Neue, eigenwillige Protestformen könnten zur spaßvollen Konfrontation führen, an der die

Die heimliche Hoffnung auf eine kritische, protestierende und gesellschaftsverändernde Jugend scheint sich immer wieder zu erneuern. Diese Hoffnung gründet sich nicht nur auf den Generationswechsel, sondern auch auf eine radikale Infragestellung des Etablierten, das provokatorische Vordenken von Alternativen und auf eigenwillige Protest- und Konfliktformen. Spätestens wenn jeder fünfte Jugendliche zum Ausbildungs- und Beschäftigungssystem nicht mehr zugelassen wird, erwartet man nicht lautlose strukturelle Ausgrenzung, sondern Jugendproteste in unterschiedlichsten Formen.

In den 60er, 70er und 80er Jahren haben SchülerInnen, Auszubildende und StudentInnen zu einem „zweiten Demokratisierungsschub“ der Bundesrepublik durch außerinstitutionelle Bewegungen beigetragen. Eine vorläufige Inspektion der 90er Jahre besagt, daß die Dynamik außerinstitutioneller Bewegungen und ihres jugendlichen Potentials abgenommen hat. Nicht nur eindeutige Forderungen nehmen ab, auch der Jugendprotest selbst zeigt ein anderes Gesicht. Globalisierung, Urbanisierung, flexiblere Ansprüche an das Erwerbsleben und Individualisierung prägen auch das Ohnmachtsempfinden der protestierenden Jugend: Als aushaltbar gilt fast nur noch ein Engagement auf Zeit mit Spaßelementen in punktueller Aktion. Das aber bleibt möglicherweise wirkungslos.

Der Spaßintervention der Jugend entspricht die inszenierte Ohnmacht etablierter Institutionen. Sie verweisen darauf, weder Handlungsbedarf zu sehen noch finanzielle Mittel zu haben und nicht zuständig zu sein. Anlaß für Proteste gibt es in den 90ern genug. Steigende Arbeitslosenzahlen, das stetige Auseinanderklaffen von armen und reichen Bevölkerungsschichten – kurz die Folgen des Demokratie- und Sozialabbaus bei gleichzeitig prosperierender Wirtschaft. Viele bekommen die Konsequenzen deutlich zu spüren: Privatisierung, Deregulierung, Flexibilisierung und die Aufrüstung von innerer Unsicherheit als Garantie zur Standortsicherung.

Das Schlagwort von der Globalisierung nimmt die zentrale Stellung ein. Zu beobachten nämlich ist eine allgemeine Orientierungslosigkeit, wo heute noch der Ort des politischen Protestes sein könnte. Wo politische Verantwortlichkeiten zu verschwimmen drohen, macht die Demo vor dem Roten Rathaus nur noch wenig Sinn – sind doch weder die Marionetten noch die an den Fäden ziehenden Großkapitalisten ernsthaft auszumachen. „Staat, hau ab!“ wirkt als Parole in Zeiten des staatlichen Sozialabbaus und Platzräumens für Großunternehmen mehr als grotesk.

So relativiert sich das alte Protestschema: Staat versus neue soziale Bewegungen, ArbeitnehmerInnen gegen ArbeitgeberInnen. Die Kochrezepte alter Bewegungsschule scheinen vergilbt. An ihre Stelle tritt ein anderer Protesttyp, der sich in seinen Adressaten, aber auch in seinen Strategien, Zielen und Arbeitsformen von früheren Typen des Jugendprotestes unterscheidet.

Neu erscheint das hohe Maß an Offenheit von Jugendprotestformen. Gruppen mit unterschiedlicher politischer Arbeit, verschiedenen Abstraktionsbedürfnissen und Motivationen und widersprüchlichen Forderungen arbeiten punktuell zusammen. Die Bereitschaft zur Kooperation mit andersgearteten Politikkulturen ist ausgeprägt, Vernetzungen auf breiter Basis werden ermöglicht. Schon die „Neuen Sozialen Bewegungen“ grenzten sich gegen die „alten“ wie die Arbeiterbewegung dadurch ab, daß sie gesellschaftliche Probleme in Nischen kleinteilig lösen wollten. Der aktuelle Jugendprotest dagegen zeigt keinen Ansatz mehr von gesellschaftlichen Gegenmodellen.

Eine Konzentration auf den „vorpolitischen“ Raum, also etwa auf die Selbsthilfe oder auf alternative Wohn- und Lebensgemeinschaften, scheint nichts Verbindendes mehr zu haben. Die Adressaten des Protestes werden statt dessen diffus außen verortet. „Regierung“, „Wirtschaftsbosse“ oder „die Mächtigen“ werden als die einzig Verantwortlichen betrachtet. Der Bezug zur eigenen Lebensform bleibt weitgehend außen vor. Allgemein nimmt das politische Engagement Jugendlicher nicht länger den Stellenwert eines eigenen (politischen) Lebensstils ein. Politik ist heute höchstens ein kleiner Teil eines Lebensstils, der daneben tausend andere Facetten hat: Politische Aktion als politisches Happening, Protest als Form der anspruchsvollen Freizeitgestaltung. Jedem sein Demo-Erlebnis. Es besteht folgerichtig wenig Bereitschaft, für politische Aktionen negative Sanktionen auf sich zu nehmen. Die Jugendlichen sind dabei risikoscheu – eine Strafanzeige gilt nicht mehr als tragbare Konsequenz des Protestes.

Politische Aktion von Jugendlichen ist programmatisch-pragmatisch. Jugendprotest heute lebt nicht von großen Entwürfen, strebt nicht langfristige Veränderungen an. Er will effektiv sein, etwa bei der Präsenz in den Medien. Eine Strategie, über kleine Aktionen zu einer größeren Veränderung zu kommen, gibt es nicht. Wer ein 30-Sekunden-Stück vom Tagesschau-Kuchen abbekommen hat, kann sich erfolgreich wähnen. Der Kick ist kurzfristig und individuell: nachmittags die Spaßaktion, abends der Spot im Fernsehen.

Der Aufbau langfristiger Strukturen und fester Zusammenhänge scheint mit überproportionalen Mühen verbunden. Das Fehlen von dauernder strategischer Zusammenarbeit durch die Konzentration auf Einzelkampagnen erschwert eine personelle Kontinuität und fördert eine fast beliebige Austauschbarkeit von Beteiligten: Wer heute große MacherIn der einen Kampagne ist, kann bei der nächsten Einzelaktion schon wieder ausgestiegen sein. Aus Erfahrungen von vorherigen politischen Aktivitäten kann kein großer Nutzen gezogen werden.

„Seid radikal!“ und „Ihr müßt schon ein bißchen revolutionärer sein!“ – Forderungen wie diese, die ältere Protestbewegte gerne an die Jugend stellen, sind verständlich, aber vorerst unrealistisch. Das zeigen Beispiele der real existierenden Berliner Jugendproteste (siehe unten). Spaß steht im Zentrum aktueller Jugendproteststrategien. Das ist für die Entwicklung kurz- und mittelfristiger Perspektiven entscheidend, greift aber auf Dauer zu kurz.

Die etablierten Institutionen begegnen dem Jugendprotest auf drei Arten: Umarmen und ablaufen lassen, als Medienereignis passieren lassen und polizeilich diskriminieren und marginalisieren. In jedem Fall aber weichen sie der inhaltlichen Konfrontation systematisch aus. Die Spaßstrategie erregt demnach zwar Aufsehen, aber nicht viel mehr.

Es lassen sich zwei Entwicklungsszenarien entwickeln: Alles bleibt, wie es ist, Spaßproteste machen auch weiterhin vor allem den Beteiligten Spaß. Diese Aktionen werden vielleicht kurzfristig noch einen Aufschwung erleben, langfristig ist die Spaß-Ohnmacht schnell verbraucht und bindet nur punktuell – vor allem aber zeigt sie keine nachhaltige Wirkung, die insgeheim ja doch gewünscht wird.

Oder es wird ein neuer Protesttypus entwickelt: Eine Kombination aus Spaßaktion und konfrontativer Regelverletzung entsteht, die die etablierten Institutionen zur inhaltlichen Auseinandersetzung zwingt. Die Repolitisierung des Politischen in anderen Formen steht an. An die Stelle kleiner Regelverletzungen mit fast ausnahmslos symbolischem Charakter und leicht zu tragenden Folgen für die etablierten Institutionen treten nun Aktionsformen, die den Schmerz für die herrschende Politik erhöhen. Statt mit spontanen „Reclaim the Streets!“-Partys nur den Verkehr zu stören, werden Banken, Kaufhäuser oder Börsen Ziele von Blockaden und phantasievolleren, witzigen Aktionen. Verantwortliche Poltik muß anders als bisher herausgefordert werden: Politikerbelagerungen, Entzug der politischen Arbeitslegitimation, provokatives Tangieren von Arbeits- und Lebensräumen sollten die bequeme politische Ohnmachtslegitimation leerer öffentlicher Kasse aufbrechen, weil nur Reiche sich ein abgemagertes Gemeinwesen leisten können. Ziel ist ein Image- und Prestigeverlust der etablierten Institutionen und eine neue Konfliktschwelle.

Eine Revision der Spaßproteste ist unausweichlich. Das fordert nach innen eine Diskussion um die Verknüpfung von spaßvollem Wehtun, um das Einüben in Formen des zivilen Ungehorsams und um eine soziale Umgangsform, in der das Diskriminierungs- und Bestrafungsrisiko mit Angriffslust ertragen werden kann. Spaß-Courage ist angesagt.

Peter Grottian, Tilmann Heller,

Dino Laufer, Ann-Sofie Susen,

Annette Wallentin von der

Projektgruppe Jugendprotest am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität

Berlin