piwik no script img

Höherer Strahlung ausgesetzt als angenommen

■ Grüne werfen Polizei vor, Meßergebnisse der beim Castor-Transport eingesetzten Polizisten „schöngerechnet“ zu haben. Innenverwaltung: Dosierung wie beim Flug nach New York

Bei den Castor-Transporten eingesetzte Polizisten aus Berlin sollen stärkeren radioaktiven Strahlen ausgesetzt gewesen sein, als bisher von der Innenverwaltung eingeräumt wurde. Das wirft der umweltpolitische Sprecher der Grünenfraktion im Abgeordnetenhaus, Hartwig Berger, der Polizeiführung und Innenverwaltung vor. Er fordert, der Bereitschaftspolizei über die wirklichen Gefahren durch die Castor-Begleitung „reinen Wein einzuschenken“.

Rund 400 Polizisten aus Berlin waren bei den Castor-Transporten in Gorleben und Ahaus im Einsatz. Sie wurden mit sogenannten Dosimetern ausgerüstet, die die Strahlenbelastungen messen. Bei keinem Beamten wurde laut Innenverwaltung ein höherer Meßwert als 0,05 Millisievert errechnet. Da die Apparate aber erst Werte ab 0,1 Millisievert erfassen, wurden die Meßergebnisse auf „faktisch Null“ abgerundet. Dieses Ergebnis wurde der Polizei nach den Transporten mitgeteilt.

Berger hält das für „Schönrechnerei“. Selbst eine ganz geringe Strahlenbelastung sei gefährlich. Eine Meßungenauigkeit immer abzurunden sei darüber hinaus unehrlich, meinte Berger. Auch der Geschäftsführer der Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP), Klaus Eisenreich, verlangte: „Jetzt müssen die Fakten auf den Tisch.“ Wenn die Meßwerte tatsächlich heruntergerechnet worden seien, sei das ein Skandal.

Die Innenverwaltung und das Bundesumweltministerium wiegelten jedoch ab. Wenn der Wert unter 0,05 Millisievert liege, erläuterte die Sprecherin der Innenverwaltung, Isabell Kalbitzer, sei das mit der Belastung bei einem Atlantikflug von Berlin nach New York vergleichbar. Im übrigen, sagte die Sprecherin des Umweltministeriums, Gertrud Sahler, sei ein Mensch in Deutschland im Jahr durchschnittlich einer Strahlung von 2,4 Millisievert ausgesetzt. Sie setze sich zusammen aus Untersuchungen beim Arzt (Röntgen) und Emissionen von Atomkraftwerken. Die Belastung bei Castor- Transporten liege aber deutlich unter einem Millisievert. „Eine nennenswerte Strahlung bei den Transporten kann ausgeschlossen werden“, sagte Sahler.

Hartwig Berger wies jedoch darauf hin, daß es Meßgeräte gebe, die auch im unteren Bereich exakte Werte lieferten. Diese seien allerdings zehn Kilogramm schwer. Man könne zwar nicht verlangen, daß jeder Polizist sich mit einem solchen Gerät belaste, aber bei jedem Transport könne ein Polizist damit ausgerüstet werden.

Das Umweltministerium beruft sich bei seinen Angaben auf die Untersuchung der Strahlenschutzkommission. Sie hat errechnet, daß das Begleitpersonal der Transporte maximal einem Millisievert im Jahr ausgesetzt ist. Die Angaben stammen allerdings vom Februar 1997. Die strahlenden Partikel an den Castor-Behältern wurden erst danach entdeckt – und lösten den Transport-Stopp aus. Jutta Wagemann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen