piwik no script img

Katharsis auf österreichisch

Orgien, Mysterien und 1.000 Liter Blut: In seinem Schloß in Prinzendorf zelebriert der Wiener Aktionist Hermann Nitsch sein seit vierzig Jahren geplantes Lebenswerk. Als öffentliches Ereignis verboten, findet es im Schutz der Privatheit statt  ■ Von Matthias Berthold und Till Haupt

In Prinzendorf im österreichischen Weinviertel herrscht angespannte Stimmung. Auf dem Schloß von Hermann Nitsch, dessen Hof und Umgebung eine malerisch-ländliche Bühne abgeben, laufen täglich die absurdesten Morddrohungen in krakelig entstellter Schrift übers Faxgerät. Neben neofaschistischen Äußerungen finden sich pubertär-fäkale Gedichte in schlichter Reimform. Nitschs provokante Kunstausübung ist nicht mehr allein Zielscheibe der katholischen Moralhüter und des bürgerlich guten Anstandes, die im Verein mit der Boulevardpresse hetzen. Am Mittag des zweiten Spieltages verzögerte sich das Programm um gut eine Stunde wegen einer polizeilichen Durchsuchung aufgrund einer Bombendrohung.

Für die Familie Nitsch ist es ein Nervenkrieg. Einen Tag nach der Bombendrohung wurde auf behördliche Anweisung die Aktion als öffentliche Veranstaltung verboten. Der zuständige Landrat, Hans Jörg Schimmanek von der rechten FPÖ, sieht in dem seit Montag laufenden Aktionsspektakel einen Verstoß gegen „humanmedizinische und veterinärmedizinische Grundsätze, gegen Hygienebestimmungen und gegen das Jugendschutzgesetz“. Tatsächlich werden während der sechstägigen Prozedur einige tausend Liter Wein, der Saft aus einer Tonne Tomaten und rund 1.000 Liter Tierblut vergossen. Um die Aufführung nicht zu gefährden, wurde die Veranstaltung zum privaten Ereignis für Freunde und Nahestehende des Orgien-Mysterien-Theaters erklärt. Trotzdem gehen die Schikanen weiter.

Während die FPÖ massiv gegen das OMTheater protestiert, bleiben die übrigen Offiziellen der Politik zurückhaltend. Niemand möchte sich an diesem Thema die Finger verbrennen; immerhin ist Nitsch Regisseur an der Wiener Staatsoper und Professor an der Frankfurter Städelschule, auch wenn sich der Kulturminister weigerte, ihn zu verbeamten. Als einzige gelassen nehmen es die Bewohner Prinzendorfs, die Nitsch gut kennen und zum Teil an der Aktion selbst mitarbeiten.

Die drei Stiere, die während der Aktion geschlachtet werden und für soviel Aufregung sorgen, werden aus der Gegend angeliefert und müssen keine langen Transportwege erleiden. Diese Tatsache macht allerdings auf die Gruppe der Tierschützer wenig Eindruck. Sie werfen Nitsch vor, Tiere zur Belustigung des Publikums zu töten. Die Verwendung von Blut und Fleisch ist aber unumgänglicher Bestandteil dieses breit entwickelten Kunstkonzeptes, das durch Einhalten einer strengen Form eben gerade mehr als Unterhaltung und Belustigung sein will. Alle Aufforderungen, die Aktion ohne Tötung eines Tieres durchzuführen, konnten nichts fruchten. Aufgrund von Ruhestörung wurden die lärmenden Tierschützer auf eine Million Schilling Schadenersatz verklagt, allerdings nicht von Nitsch, sondern vom Videodokumentaristen Peter Kasparak, der für den Mitschnitt auch für den ORF verantwortlich ist.

Das Thema des Opfers, das Nitsch in seiner ausladenden Art gründlich religionsgeschichtlich bearbeitet hat, ist das Zentrum des Sechs-Tage-Spiels. Neben der „Kreuzigung“ Christi werden quasi als Vergleich dieses Urphänomens die „Blendung des Ödipus“, „die Tötung des Orpheus“, „der rituelle Königsmord“, die „Entmannung des Attis“, die „Tötung des Adonis“, „Isis und Osiris“ und die „Zerreißung des Dionysos“ zelebriert. Die Aufführung der rituellen Handlung ist dabei an der Grenze eines realen Geschehens angesiedelt. Der intensive Geruch des frischen Tierblutes und der Anblick quellender Därme sind so real, wie die weiß gekleidete Schar der Jüngerschaft gespielt ist. Dabei sind es hauptsächlich Kunststudenten, die sich auf die drei Wochen Proben und eine Woche Aufführung eingelassen haben, im übrigen aber nicht alle unbedingt an die reinigende Ekstase glauben.

Das aufgeregte Wühlen in den frischen Därmen ist minutengenau in einer 1.500 Seiten umfassenden Partitur festgelegt. Auf Trillerpfeifensignal schütten die Akteure wechselweise Blut und Wasser, springen in Bottiche und stampfen Tomaten und Weintrauben. Sobald einige der etwa 100 Akteure entnervt das Gelände verlassen, finden sich immer neue Akteure zum Einspringen – Zusehen macht Lust aufs Mitmachen. Nur die Aufführung leidet unter der Unkonzentriertheit und Laxheit der weniger überzeugten Mitwirkenden.

Die eigentliche Rauscherzeugung, so wie es sich der Schöpfer von seiner Arbeit wünscht, liegt im akustischen Teil des Werkes. 150 Orchestermusiker spielen nach einer selbsterfundenen einfachen Notierung, die ganz in Fluxus- und Happening-Tradition jede Virtuosität vermeidet. Der wagnerianisch flutende unmelodische Klang erreicht eine derartige Intensität, daß der Komponist selbst die meiste Zeit doppelten Ohrenschutz trägt, um die Aktion noch mit kühlem Kopf lenken zu können. Auf geniale Weise sind drei Orchestergruppen, fünf große Kirchenglocken, Gongs, Schlagzeuger, Synthesizer und eine Gruppe mit Ratschen und Pfeifen im Hof verteilt. Über dem orgel- bzw. sirenenartigen Dauerton eines Synthesizers lagern Streicher und Bläser, die minutenlang verschiedene Töne in beschränkter Klangfarbe halten. Der zu dröhnenden Clustern anschwellende Sound wird jäh unterbrochen von der fröhlichen Melodie zweier Blaskapellen, Heurigen-Musikern und traditioneller Schrammelmusik. Nicht zu vergessen der gregorianische Chor in einer abgelegenen Schloßkapelle im ersten Stock des Schlosses, einer Art Chill-out-Raum für überhitzte Spielteilnehmer.

Es mag den Anschein haben, als verulke Nitsch mit seinem Theater bloß katholische Tradition und österreichische Lebensweise. Doch schon durch den enormen Aufwand und den großen Ernst bei der Aufführung wird klar, daß hier an einem Gesamtkunstwerk Wagnerischen oder Stockhausenschen Ausmaßes gearbeitet wird. In der Tat genügt die aufreibende Gleichzeitigkeit scheinbar unvereinbarer Welten ganz den Ansprüchen eines zeitgenössischen Kunstwerkes, das die zerrissene Lebenswirklichkeit widerspiegeln und in ästhetischer Weise verschmelzen kann. Wie weit das ekstatisch-kathartische Erlebnis geht, hängt vom einzelnen ab. Für die meisten scheint es eine Art Extremerfahrung zu sein wie Bungeespringen; oder das Erlebnis ist wie nach einer ausgelassenen Party am Baggersee, wo man sich berauscht mit Schlamm bewirft. Streckenweise macht das OMTheater aber auch den Eindruck einer Verteidigung traditioneller bodenständiger Lebensweise.

Der Amerikaner Bob, erfahrener Akteur und überzeugter Anhänger des Prozessionsspiels, glaubt allerdings an die Möglichkeit tiefgreifender psychischer Veränderung, die – immer wieder erfahren – grauenhafte Ereignisse wie die Judenvernichtung durch die Nazis in Zukunft unmöglich macht. Das ist ganz im Sinne Nitschs, der sein Fest Ende der fünfziger Jahre unter dem Eindruck der noch völlig unverarbeiteten Nazivergangenheit als Abreaktionsspiel mit therapeutischem Effekt entwarf.

Wenn Bob ans Kreuz gefesselt auf seine Mitakteure wartet, die dann über seinem nackten Körper in den Tierdärmen wühlen, habe er jedesmal eine Scheißangst durchlitten, sei aber danach um so glücklicher und irgendwie aufgeladen gewesen. Sei es, daß etwas von der Lebensenergie des frischgeschlachteten Tieres auf ihn übergesprungen sei oder er einfach die Angst durchgestanden habe. In der Beknetung des Tierkadavers mit Innereien und Blut sieht der studierte Phänomenologe schlicht und einfach einen Wiederbelebungsversuch des Tieres, die sich seiner Meinung nach auch tatsächlich vollzieht, „wenn das Tier zumindest in spiritueller Sicht aufersteht“.

Daß der Meister nach Vollendung seines Lebenswerkes die Arbeit beenden könnte, ist für ihn eine Katastrophe. Er wünscht sich die Verbreitung des OMTheaters als jährlich stattfindende, feste Einrichtung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen