piwik no script img

■ Pazifismus: Die Bündnisgrünen sollten sich endlich von ihrer überkommenen Frontstellung gegen die Bundeswehr befreienEin Grüner auf die Hardthöhe

In einem Bestseller der 70er Jahre stand folgender Schlüsselsatz: „Ein Kriegsdienstverweigerer muß nicht wehrlos sein.“ Viele (Grüne) werden sich an diesen Satz erinnern; er findet sich in Winfried Schwamborns „Handbuch für Kriegsdienstverweigerer“. Der Satz bezog sich auf eine Frage, die immer wieder im Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer auftauchte: „Was würden Sie tun, wenn jemand ihre Freundin vergewaltigen wollte?“ Die Frage weist auf ein unauflösliches moralisches Dilemma, in das uns jede Gewalt stürzt. Sie könnte auch lauten: Was tun Sie, wenn ihr ausländischer Freund von Skinheads angegriffen wird? In solchen Momenten könnte uns das Gewissen nicht nur gewalt-freies, sondern auch gewalt-tätiges Handeln abverlangen.

Es gehört zur Garantieerklärung demokratischer Staaten, alle Bürger, den einzelnen wie Minderheiten, die unter ihrer Obhut stehen, zu schützen. Eine vergleichbare, weitgehend funktionierende Garantieerklärung gibt es für die Völkergemeinschaft allerdings noch nicht. Aber können demokratische Staaten wegschauen, wenn in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft Greuel verübt werden?

Den Grünen tun sich schwer mit dieser Frage. Sie pflegen lieber ihren historischen Pazifismus, als die Pazifizierung der Welt voranzubringen. Und während einige Mitglieder der Bundestagsfraktion schon zu den Fahnen eilen, behaupten Parteifunktionäre, dies widerspräche einem „antimilitärischen Grundkonsens“ der Partei.

Der Kampf gegen bundesdeutschen Militarismus waren ein wichtiger Fixpunkt für eine Haltung, die sich Pazifismus nannte und deren genuiner Ausdruck in den 70ern die Kriegsdienstverweigerung wurde. In diesen Jahren gehörte sie fast zum guten Ton, und wenn etwas die Generation der Vierzigjährigen verbindet, dann die Ablehnung der Bundeswehr.

Die gemeinsame Konsequenz, die Ablehnung von Militär im allgemeinen und Bundeswehr im besonderen, konnte die Widersprüche innerhalb der Grundhaltung verdecken, weil eine Probe auf den pazifistischen Gehalt ausblieb. Tatsächlich haben wir es hier aber immer mit drei Formen von Pazifismus zu tun gehabt: einen links- dogmatischen, einen pragmatisch- libertären und einen moralisch- utopischen.

Der links-dogmatische Pazifismus speist sich vor allem aus einer Mischung aus Antiamerikanismus und Antifaschismus; er sieht die Bundeswehr in der Tradition der Wehrmacht und im Dienste imperialistischer Machtpolitik. Für den Pazifisten dieser Couleur ist es kein Widerspruch, wenn er gegen die Bundeswehr votiert, aber gleichzeitig Guerillagruppen in Lateinamerika unterstützt. Der pragmatisch-libertäre Pazifist nimmt Armeen vor allem als Zwangseinrichtungen wahr, die mit ihrem inhumanen Drill im krassen Gegensatz zur bürgerlichen Demokratie stehen, eine atavistische Gemeinschaft in einer offenen, zivilen Gesellschaft. Der moralisch-utopische Pazifismus gründet sich auf humanistischen oder religiösen Überzeugungen. Für ihn stellt der Krieg das letzte große Menschheitsübel dar, das man durch totalen Gewaltverzicht unmöglich machen muß.

Niemand kann behaupten, in den Grünen hätten sich nur die religiös motivierten Pazifisten versammelt, und der „antimilitärische Grundkonsens“ sei etwas wie ein erstes Gebot der grünen Weltanschauung. Gewaltlosigkeit wird weiterhin durch religiöse Überzeugungen oder persönliche Gewissensnöte begründet sein – und sie ist als individuelle Entscheidung ernst zu nehmen. Der von jeher bis in die grünen Parteispitzen vertretene links-dogmatische Pazifismus ist aber keine Gewissens-, sondern eine politische Entscheidung. Er ist eine Entscheidung gegen die deutsche Demokratie und ihre Institutionen. Dieses gebrochene Verhältnis zur Bundesrepublik macht eine gestalterische Politik unmöglich. Auf jeden Fall kann er aber keinen Alleinvertretungsanspruch grüner Traditionen behaupten, da es einen einheitlichen Pazifismus nicht gegeben hat.

Am ehesten machen die pragmatisch-libertären Pazifisten bei den Grünen ihren Frieden mit der Bundeswehr, weil sie die Gründe für ihre Ablehnung beibehalten und gleichzeitig in der Verkleinerung der Bundeswehr einen Schritt zur Auflösung des Anachronismus Militär sehen können. Wenn dieses Militär dann auch noch für pazifizierende Zwecke, für Demokratie und Freiheit eingesetzt wird und daher der Zweifel an der moralischen und politischen Legitimität schwindet, dann ist ein Kompromiß ohne Identitätskrise möglich. Und sie befinden sich in guter Gesellschaft. Denn besteht die Haltung unserer Gesellschaft nicht weitgehend in diesem Kompromiß? Zwischen dem deutschen Volk und seinem Militär wird es nach Preußen- und Nazi-Vergangenheit keine Liebesbeziehung mehr geben. Die Zeit des deutschen Militarismus ist vorbei.

Es nimmt auch daher nicht wunder, daß die öffentlichen Gelöbnisfeiern der Bundeswehr wenig Begeisterung in der Gesellschaft auslösen. Sie sind in ihrer bisherigen Form abscheulich und anachronistisch. Und doch haben sie eine Plausibilität: Es ist stets notwendig, Soldaten auf unsere zivilen Werte und das Grundgesetz zu verpflichten – diese Verpflichtung sind diese Soldaten uns schuldig, wenn sie unser Vertrauen wollen, und die Öffentlichkeit scheint mir der beste Platz, diese Verpflichtung zu bezeugen. Wir kommen freilich auch nicht umhin, diesen Soldaten unseren Respekt zu zollen, denn sie setzen in Krisensituationen ihr Leben ein, um andere zu schützen. An dieser Tatsache kann man nicht leichtfertig vorbeigehen. Es wäre sicher schon viel gewonnen, wenn von Pazifisten nicht immer der Eindruck erweckt würde, sie wären die besseren Menschen.

Das Ende der Blockkonfrontation hat die Friedensbewegung überflüssig gemacht. Die Bündnisgrünen sind es nicht. Wenn sie die Regierungsverantwortung wirklich wollen, dann sollten sie sich nicht vor einem Ministerium scheuen, das von ihnen verlangt, den Weg vom Protest hin zu einer Politik zur Gestaltung einer neuen Politik zu Ende zu gehen. Man mag die Hardthöhe als Feldherrnhügel betrachten. Aber nur von dort aus läßt sich die notwendige Neuordnung der inneren Führung der Bundeswehr bewerkstelligen, kann eine glaubwürdige Strategie in der Anwendung militärischer oder ziviler Mittel zur Friedensschaffung umgesetzt werden.

Ein Gegner des Vietnamkriegs ist heute US-Präsident. Warum sollte der nächste deutsche Verteidigungsminister kein Kriegsdienstverweigerer sein? Bernd Rheinberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen