: Die Zeit der großen Antworten ist vorbei
Aufklärung im Jahrzehnt der Netze: MorgenWelt, ein Hamburger im Internet ■ Von Kay Dohnke
Können Tiere denken? Warum wandern Steine in der Wüste? Können Menschen Töne sehen? Wie alt sind die Felsbilder der Aborigines? Und wieviel Satellitenschrott fliegt eigentlich im Weltall herum? Diese und eine Vielzahl ähnlicher oder ganz anderer Fragen stellt sich der Hamburger Journalist Volker Lange. Die Antworten darauf stellt er einmal monatlich ins Netz. MorgenWelt heißt sein ungewöhnliches Internet-Magazin: Ein bunter Bilderbogen, der in Form von Kurznachrichten und Hintergrundartikeln und Kommentaren aktuelle Informationen aus Wissenschaft und Technik präsentiert.
Wie ein indianischer Scout zieht Lange täglich auf der Suche nach Neuigkeiten durch die Tiefen des Internets, fördert teils spektakuläre, teils nüchterne Entdeckungen zutage und stellt sie in seinem Magazin zur Diskussion. Informations-Splitter, Faktensalat oder Insiderwissen? Was hat das mit unserer Gegenwart oder gar der Welt von Morgen zu tun?
„Die Zeit der großen Antworten ist vorbei“, sagt Lange nüchtern. „Das einzige, was man tatsächlich tun kann, ist Facetten einzufangen und zur Verfügung zu stellen.“ Triebfeder für MorgenWelt ist die Neugier auf das Morgen, die Lust an der Zukunft – „was kommt da auf uns zu, womit werden wir leben“, fragt Lange selbst und überläßt es den Lesern seines Magazins, sich vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen ein eigenes Bild zu basteln. „Als Textkonsument wäre ich auch etwas ungehalten, wenn mir ein Autor erzählen wollte, wie ich die Welt zu sehen habe.“
MorgenWelt ist in seiner Themenbreite, seinen Darstellungsformen und der Offenheit zu Kultur und Gesellschaft unter den deutschsprachigen Internet-Magazinen einzigartig. Und auch seine Entstehung ist eher ungewöhnlich. Im Frühjahr 1996 fing Volker Lange an, sich ganz privat im World Wide Web umzuschauen – er fand dabei Unmengen teils leicht zugänglicher, teils versteckter Informationen. Um auszuprobieren, wie man eine eigene Homepage bastelt, stellte der Wissenschaftsjournalist einen Querschnitt seiner Funde zusammen und schrieb noch ein paar Geschichten dazu. Ohne sich vorzustellen, was morgen daraus werden könnte.
„Eines Tages kam dann eine E-mail von der Zeitschrift DOS International. Da war ich unter die Top Five der deutschsprachigen Web-Pages gewählt worden.“ Komisch fand Lange, daß ihn überhaupt jemand im Netz zur Kenntnis genommen hatte. Immerhin verirrten sich täglich höchstens zehn bis fünfzehn Interessierte auf seine Web-Page. Doch Volker Lange denkt und lebt seit jeher in Projekten. Nachdem er Robin Wood mitetabliert und das nur kurzlebige Radio Korah aufgebaut hatte, lag der Gedanke nicht fern, wieder ein eigenes Medium herauszubringen.
Den Name klaute er aus einem Science-Fiction Roman von John Brunner. MorgenWelt – das klang warm und offen, und die facettenartige Erzähltechnik des Romans mit filmähnlichen Schnitten stärkte Langes Idee einer durchlässigen Form, die anbietet und diskutiert, aber nicht festlegt und vorschreibt.
Die Resonanz auf ein solches Magazin ließ nicht lange auf sich warten. „Compuserve fragte, ob ich Nachrichten liefern könnte, dann kamen Rundfunkanstalten hinzu.“ Vom Auftauchen solcher zahlenden Kunden, die aktuelle Meldungen abonnieren, profitieren auch die vielen anderen MorgenWelt-Leser. Nach Ablauf der Sperrfrist packt Lange die Nachrichten in einen Newsletter, der täglich in alle Welt hinausgeht. Entsprechend der alten Internet-Etikette natürlich kostenlos.
Ob real, auf Papier oder im Internet: die Welt von Morgen ist – wie die von heute – eine Welt der Kontraste, und dem wird das Magazin MorgenWelt durch sehr unterschiedliche Themen und Perspektiven gerecht. Die Presseschau umfaßt auch weniger gängige und – aus europäischer Sicht – abgelegenere Blätter.
MorgenWelt versteht sich nicht als Medienrevolution oder gar Avantgarde. Und wer meint, der Erfinder des Internet-Magazins könne doch nur ein „nerd“ sein, also ein abgedrehter Computerfreak, liegt völlig falsch. Lange ist einfach ein neugieriger Mensch, er nutzt das Internet als Vehikel, um mit seiner Hilfe klassische journalistische Informationen zu verbreiten. Die Publikumsresonanz zeigt, daß Lange richtig liegt: Aus den zehn bis fünfzehn täglichen Besuchern wurden 150.000 pro Monat. Das Angebot wuchs von drei Seiten einer privaten Homepage auf 110 Magazinseiten. Und in den Newsletter schauen inzwischen täglich bis zu 10.000 LeserInnen. Ein Erfolg, der für sich spricht.
Man findet MorgenWelt im Internet unter http://www.morgenwelt.de . Kontakt: lange§morgenwelt.de oder Tel.: 040/386 13 582.
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