piwik no script img

Den Bahai droht die „Auslöschung als lebensfähige religiöse Gemeinde“

■ Die religiöse Minderheit gilt im Iran praktisch als vogelfrei. Erstmals seit sechs Jahren wurde wieder ein Angehöriger der Bahai hingerichtet

Berlin (taz) – Zwei Brüder rauben einen Mann aus. Anschließend strangulieren sie ihn und verbrennen seine Leiche. Sie kommen vor Gericht. Der Richter zweifelt nicht an ihrer Schuld. Doch sein Urteil lautet: 18 Monate Haft wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“. Daß ein Mensch getötet wurde, ist nicht der Strafe wert, denn „ein Muslim darf nicht für die Tötung eines Ungläubigen bestraft werden“, heißt es im Urteil. Das Opfer war Bahai.

Ein Offizier schießt einem jungen Soldaten mit seiner Dienstwaffe in den Kopf. Ein Militärgericht spricht den Offizier frei. Nur eines nimmt das Gericht ihm übel: Das er drei Kugeln verschwendet hat. Die muß der Offizier der Staatskasse zurückzahlen. Der tote Soldat war Bahai.

Die beiden Vorfälle ereigneten sich im Iran. Etwa 300.000 Bahai leben in der Islamischen Republik. Sie stellen die größte religiöse Minderheit im Land. Seit der Islamischen Revolution 1979 wurden über 200 von ihnen hingerichtet, Tausende inhaftiert und gefoltert. Derzeit sind 15 Bahai in Haft. Der Grund: ihr Glaube. Kein Gesetz schützt die Bahai, schon gar nicht die Verfassung der Islamischen Republik. Laut Artikel 13 der Verfassung gehören die Bahai nicht zu den „geschützten religiösen Minderheiten“, wie Christen, Juden oder Zoroastrier.

Seit Beginn der Revolution wurden ihre sozialen Einrichtungen, Krankenhäuser und Schulen konfisziert, Friedhöfe und heilige Stätten zerstört und geschändet. Über 10.000 Beamte wurden entlassen. Pensionäre müssen ihre Renten zurückzahlen. Schüler dürfen nicht studieren.

Die rechtlich verordnete Diskriminierung durchdringt jeden Lebensbereich: Bahai-Eheschließungen werden nicht anerkannt. Da es keine zivilen Trauungen gibt und den Bahai die muslimische versagt wird, leben sie „unehelich“ zusammen. Jede Art des religiösen Gemeindelebens ist verboten. Die UN-Menschenrechtskommission warnt deshalb vor der „Auslöschung als lebensfähige religiöse Gemeinde“.

Die islamische Orthodoxie betrachtet Bahai als vom Islam abgefallen. Die Bahai erkennen den Propheten Mohamed als Gesandten Gottes an, glauben aber, daß mit ihm nicht die Kette der Gottesboten abgerissen ist, und daß Baha'u'llah – Begründer der Bahai- Religion – der jüngste unter ihnen ist. Für die konservativen und orthodoxen Kräfte stellt die schlichte Existenz dieser Religion, die ihre historischen Wurzeln im schiitischen Islam hat, schon eine Provokation dar. Gleichzeitig finden jedoch im Iran viele Bahai Freundschaft, Hilfe und Unterstützung bei ihren muslimischen Verwandten und Nachbarn.

Seit der Entstehung des Bahaitums in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Iran haben Schahs, Minister, Richter und Mullahs ihre besondere Frömmigkeit und Islamtreue immer wieder dadurch zur Schau zu stellen versucht, daß sie die „Abtrünnigen“ bekämpften und töteten. Ob das islamische Recht sie dazu überhaupt berechtigt, ist unter den Gelehrten umstritten. Aber je nach politischer Situation bringt die Hinrichtung eines Bahai einen Punktsieg bei den konservativen Kräften der Gesellschaft.

So läßt sich auch die jüngste Hinrichtung eines Bahai am 21. Juli erklären – die erste seit sechs Jahren. In Maschhad, der Heimatstadt des Religiösen Führers der Islamischen Republik, Ali Chamenei, wurde der 52jährige Ruhollah Ruhani erhängt – ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren, einzig mit dem Vorwurf, als Bahai aktiv gewesen zu sein. Die iranische Justiz dementiert sogar, daß die Hinrichtung überhaupt stattgefunden hat – obwohl die Familie berichtet, daß ihnen die Leiche des Exekutierten von den Behörden übergeben wurde.

„Bahai sind erneut Spielball im innenpolitischen Machtkampf geworden,“ erklärt Christopher Sprung, Sprecher der deutschen Bahai-Gemeinde zu dem Fall. Sprung befürchtet weitere Hinrichtungen: „Fundamentalisten in anderen Regionen Irans könnten sich jetzt ermutigt fühlen, Gleiches zu tun.“ Vier Bahai sind als nachweislich „Abtrünnige“ zum Tode verurteilt.

Seit der Hinrichtung Rohanis telefoniert und diskutiert Sprung permanent mit Diplomaten und Politikern: „Präsident Chatami betont, alles im Iran bewege sich auf der Grundlage des Gesetzes. Sind davon die Bahai ausgeschlossen?“ fragt er. Und: „Aufgrund welchen Gesetzes wurde Herr Ruhani hingerichtet?“

Die Hinrichtung Ruhanis löste internationale Proteste aus. Die UN-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson richtete die deutliche Warnung an Teheran, die weiteren zum Tode verurteilten Bahai zu retten. Denn: „Das einzige, was ihnen vorgeworfen wird, scheint ihre Zugehörigkeit zu einer besonderen Glaubensrichtung zu sein.“ Isabel Schayani

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen