: Lieber Geld spenden, als hilflos zusehen: Mit drei Prozent ihres Einkommens unterstützen viele Kosovo-Albaner, die seit Jahren in Deutschland leben, die Menschen in der Heimat. Daß Geldspenden aus Deutschland aber auch der Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) zugute kommen – die davon Waffen für ihren Kampf gegen die jugoslawische Armee kauft –, ist ein offenes Geheimnis. Jetzt droht der „Vereinigung der Albaner in Deutschland“, die seit geraumer Zeit vom Verfassungsschutz beobachtet wird, ein Verbot. Von Heke Spannagel
Die Heimat ruft, die Exilanten antworten
Ein Raum voller Männer, ein Fernseher, albanischsprachige Nachrichten aus dem Kosovo. Jeden Abend zwischen halb sieben und halb neun kommen sie aus allen Winkeln der Stadt in den Versammlungssaal des „Bajram Curri“ im Berliner Stadtteil Neukölln. Manchmal sind es 50, manchmal 200. Jugendliche, Familienväter und Alte kommen in den albanischen Klub, um per Satelliten-TV die neuesten Bilder aus der Heimat zu sehen: Bilder von Krieg, Verwüstung und Flüchtlingen.
Die Stimmung im Saal ist gedrückt, die Männer trinken Tee oder Bier. In den Werbepausen unterhalten sie sich leise: Kosovo- Albaner, die schon jahrelang in Deutschland leben und jetzt tatenlos mit ansehen müssen, wie die Menschen in ihrer Heimat kämpfen und leiden, darunter Angehörige, die noch im Krisengebiet sind. „Wir leben zwischen zwei Welten“, sagt der 30jährige Ibo (*), der seit sechs Jahren in Berlin lebt und Jura studiert. Wenn er in seinem Berliner Zuhause für die Uni arbeite, sei er in Gedanken zu Hause im Kosovo, sagt er. Runterfahren? „Das bringt doch nichts“, so Ibo, vor Ort gebe es Leute genug. Erst gestern habe er mit einer Tante in seiner Heimatstadt Mitrovica telefoniert. Die habe nur geweint angesichts der vielen Menschen, die sich in die Stadt am Rande des Krisengebiets geflüchtet haben.
„Das einzige, was wir von hier aus tun können, ist Geld sammeln und runterschicken“, sagt Ibo. Obwohl er sich sein Studium selbst verdienen muß, zwackt er jeden Monat so viel wie möglich von seinem Lebensunterhalt ab. Früher hat er das Geld auf ein Spendenkonto überwiesen, jetzt schickt er es lieber „auf privaten Wegen“ nach Hause. So könne er sicher sein, daß es dort ankommt, wo es dringend benötigt werde. „Für humanitäre Zwecke selbstverständlich“, sagt der junge Mann.
Nicht anders denken und handeln die anderen Kosovo-Albaner im Saal. Solidarität in Form von Geld ist das mindeste, was sie denen, die sie in der Heimat zurückgelassen haben, entgegenbringen können. Etwa 400.000 Kosovo-Albaner leben in Deutschland, 140.000 davon sind abgelehnte Asylbewerber, die vorerst nicht abgeschoben werden; im November will die Innenministerkonferenz über einen Abschiebestopp entscheiden. Die meisten kamen nach 1989 in die Bundesrepublik, nachdem Serbenführer Milošević dem Kosovo die Autonomie aberkannt hatte. Drei Prozent seines Einkommens spendet jeder im Ausland lebende Kosovo-Albaner regelmäßig für die Heimat, so zumindest die Empfehlung der 1992 im Untergrund gewählten Regierung des Premierministers Bujar Bukoshi, der im Bonner Exil lebt. Im „Fonds der Republik Kosovo“ kommen somit jährlich mindestens zehn Millionen Mark zusammen. Mit dem Geld werden Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser im Kosovo finanziert.
Daß in den vergangenen Monaten auch für militärische Zwecke Geld gesammelt wurde, ist ein offenes Geheimnis. Die Mehrzahl der im Ausland lebenden Kosovo- Albaner glaubt inzwischen, daß es mit humanitärer Hilfe nicht mehr getan ist und unterstützt die Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) in ihrem Kampf für die Unabhängigkeit der serbischen Provinz. Sieben Millionen Mark sammelte die „Demokratischen Vereinigung der Albaner in Deutschland“ (DVAD) in den letzten vier Monaten. Der Verein hatte bisher keinen Hehl daraus gemacht, mit seinem Spendenfonds „Die Heimat ruft“ in erster Linie die UCK zu unterstützen.
Angesichts der zunehmenden Gebietsverluste der UCK in den vergangenen Tagen wächst die Solidarität der Exilalbaner mit den Guerillakämpfern. „Wir machen keinen Unterschied mehr zwischen UCK und Zivilbevölkerung“, sagt Ibo aus Berlin. Schließlich würden alle gleichermaßen Menschen und Häuser verteidigen. Auch der in Bonn lebende Exilpremier Bujar Bukoshi hatte eine bessere Zusammenarbeit zwischen den politischen und militärischen Kräften der Kosovo-Albaner gefordert (taz vom 30.7.). Daß auch Geld für Waffen gespendet wird, will allerdings keiner zugeben. Vielmehr läßt man durchblicken, die humanitäre Hilfe komme auch der UCK zugute.
Die Vorsicht der Geldspender und -sammler in Deutschland ist wohlbegründet. Letzte Woche reagierte die Bundesregierung auf eine Mahnung der Nato-Verbündeten und kündigte an, daß Waffenkäufe für die UCK mit in Deutschland gesammelten Geldern unterbunden werden sollen. „Wir müssen unseren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen“, so ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Das Waffenembargo gegenüber Jugoslawien gelte schließlich auch für den Kosovo.
Der DVAD droht damit ein Verbot. Noch verbreitet der Verein seine unmißverständliche Botschaft im Internet. Auf seiner Homepage sticht ein Maschinengewehr ins Auge, das sich neben den angegebenen Spendenkonten in neun westlichen Ländern langsam im Kreis dreht. Überschrieben ist der Spendenaufruf mit der Zeile „Hilfe für den Befreiungskrieg“.
Der deutsche Verfassungsschutz beobachtet die DVAD schon seit geraumer Zeit. In seinem Bericht von 1997 taucht der vor fünf Jahren gegründete Verein im Zusammenhang mit der linksextremistischen Partei „Volksbewegung von Kosovo“ (LPK) auf, die in Deutschland 300 Mitglieder zählt. Die DVAD sei eine „Fassadenorganisation“, die Mitglieder der LPK allein zum Zwecke des Geldsammelns gründeten, erklärt ein Sprecher des Bundesamts für Verfassungsschutz. Strafbare Handlungen habe man der DVAD bislang nicht nachweisen können. Dafür, daß Spendengelder in Waffen investiert würden, fehlten die Beweise. Auch gebe es keine Hinweise auf gewaltsames Eintreiben von Spendengeldern.
Als „starken Mann“ im Hintergrund der im Ausland organisierten Kosovo-Albaner bezeichnet der Sprecher des Verfassungsschutzes den 44jährigen Ibrahim Kelmendi. Kelmendi ist DVAD- Vorsitzender und Auslandssprecher der LPK in Personalunion. Er steuert die Geldsammelaktionen für den Kosovo von seinem Siegburger Büro aus. Die Spendenaufrufe erscheinen außer im Internet auch in der wöchentlich in der Schweiz herausgegebenen LPK- Zeitung Die Stimme Kosovos. Das meiste Geld fließt nach Informationsabenden der DVAD in ihren Spendenfonds. In Bayern seien bei einer solchen Versammlung von 200 Kosovo-Albanern im Juli 100.000 Mark zusammengekommen, berichtet der bayerische Verfassungsschutz in einem Anfang August erschienenen Bericht.
Nicht immer bleibt die Unterstützung der Heimat auf Geldspenden beschränkt. Tausende von jungen Kosovo-Albanern hätten in den vergangenen Monaten Deutschland den Rücken gekehrt, um für die UCK zu kämpfen, sagt Ibrahim Kelmendi. Im Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes scheint sich diese Behauptung zu bestätigen. Allein aus dem Großraum München seien bisher 200 Personen freiwillig in den Kosovo zurückgekehrt, heißt es darin. Die Männer würden nach einem Aufklärungsgespräch über die Risiken in der Heimat mit Pkws über Österreich nach Italien und von dort aus per Fähre nach Albanien gebracht. Dort erfolge die Einkleidung, Bewaffnung und eine kurze Waffenausbildung, bevor UCK- Mitglieder die neuen Kämpfer in den Kosovo führten.
„Wenn es notwendig wird“, will auch der 30jährige Ibo aus Berlin mit seinem Leben für die Freiheit seiner Landsleute einstehen. Das sei allemal besser, als von den Serben weiter diskriminiert zu werden, wie er es zuletzt an der Universität in Priština habe erleben müssen. Nach Deutschland sei er gekommen, weil er sein Studium dort aus politischen Gründen nicht beenden durfte, sagt Ibo. Es ist halb neun Uhr abends, an diesem Tag gibt es keine Nachrichten aus der Heimat mehr. Der Fernseher im Versammlungssaal von „Bajram Curri“ wird ausgeschaltet, der Raum leert sich schnell. Zurück bleibt ein Handzettel, den Ibo an diesem Abend verteilt hat. „Sag, Albanese, warum kämpfst du, wenn du auch anders leben könntest?“ ist darauf zu lesen. Die Antwort: „Weil jeder Mensch in seiner Brust ein Stückchen blauen Himmel hat, wo eine Schwalbe ihre Flügel schwingt nach Lust.“
(*: Name geändert)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen