Ein klarer Fall für das Rote Kreuz

Die Fußball-Bundesliga im großen taz-Test (VII): Heute: Werder Bremen zuppelt an der kleiner gewordenen Personaldecke und sollte schnellstens Spielkultur üben  ■ Tester: Jochen Grabler

Wie groß ist der Berti-Faktor?

Kaum zu übertreffen. Trainer Sidka wünscht sich kreative Geister, die auch „Drecksarbeit“ machen. Bei HaHu Vogts heißt das „Zusetzen“ – grauslig. Dabei stellt sich der gemeine Werder-Fan die Frage, welche Kreativkräfte der Trainer da wohl gemeint haben mag (siehe „Wird Fußball gespielt?“). Ins nachgerade Unermeßliche steigt der Berti-Faktor allerdings angesichts der grün-weißen Personalprobleme. Werder hat nämlich so gut wie keine Spieler zugekauft, dafür aber reichlich renommierte Kicker wie Reck, Labbadia, Wolter, Ramzy oder Pfeifenberger abgegeben. Macht summa summarum einen Kompetenzverlust von mehr als 1.300 Bundesligaspielen. Schwups, schon haben wir einen Verjüngungsschub und damit Bertis neue Lieblingsbuben: Im Kader stehen nun mit Christoph Dabrowski und Alexander Noury zwei Nationalkicker, die jünger als 20 Jahre alt sind. Razundara Tjukuzu spielt fürs namibische Nationalteam. Der ist 18. Und die beiden Stammspieler Torsten Frings und Raphael Wicky sind gerade mal 21 Jahre alt. Insgesamt ergibt dies alles einen Berti-Faktor von 72,5.

Wird Fußball gespielt?

Wäre ja schön, fragt sich bloß, von wem? Die komplette Kreativabteilung ist ein Fall fürs Rote Kreuz. Jurij Maximow schwächelt seit einer Knieoperation im Februar dauerhaft vor sich hin und hat die Saisonvorbereitung mit leichtem Aufbautraining rumgebracht. Zukunft: ungewiß. Andreas Herzogs arthritischer dicker Zeh wurde zwar erfolgreich behandelt, dafür hat jetzt ein Mittelfußknochen einen Knacks. Zukunft: ungewiß. Und Christian Brand ist beim UI-Cup-Spiel gegen die Mannschaft aus dem belgischen Lommel der Stabilität seines Schienbeins verlustig gegangen. Kurzum, die Devise für die ersten Saisonmonate heißt: Abwehr ist die beste Verteidigung.

Wer hilft?

Reck, Labbadia, Wolter, Ramzy, Pfeifenberger, o.tel.o und ISPR. Erstgenannte liegen als Besserverdienende dem Verein, der im dritten Jahr am internationalen Wettbewerb vorbeigeschrammt ist, nicht mehr auf dem schmaler gewordenen Portemonnaie. Bei Zweitgenannten handelt es sich um ein durchaus solventes Telekommunikationsunternehmen, das den Verein ordentlich sponsert. Und letzgenannte Sportagentur soll Werder-Spiele so beim Fernsehen vermarkten, daß die Kasse klingelt.

Wer stört?

Der Fragen stellt. Bei Werder ist immer so lange alles gut, bis die Vereinsführung was anderes beschließt – notorisch-hanseatische ottokratistische Rundumloyalität. Wie will man Tore schießen? Wie alle anderen auch: zackbumm – und drin! Fragt sich bloß, wer's besorgen soll. Werder wollte zwar unbedingt den Brasilianer Ailton aus Mexiko loseisen, bloß dessen Verein mochte dabei nicht mittun und gab sich bis zum Schluß frostig. Nun ist die Mittelfeldkrise ausgebrochen, und an einen neuen Stürmer ist nicht mehr zu denken. Bleibt halt nur der Werder-Torjäger der letzten Saison: Marco Bode. Und dessen Dauerproblem, weil er den Innenpfosten gerne auf der falschen Seite wähnt und immer wieder zehn Zentimeter am Torjubel fehlen. Tragisch! So ein feiner Spieler!

Allgemeines Qualitätsdefizit: Spielkultur. Müßte noch viel geübt werden.

Was macht der Trainer?

Wolfgang Sidka verbreitet Bescheidenheit: Die Verkündung eines Saisonziels findet nicht statt. „Wir sind mit der Politik der kleinen Schritte gut gefahren. So werden wir das auch weitermachen.“ Ansonsten läßt er gerade Spielkultur zu wenig üben – ungute Entwicklung das.

Taugt der Torwart?

Und ob! „Rost ist der Bessere“, hieß es schon in der letzten Saison unisono aus der Mannschaft. Und weil er fast keine Chance kriegte, das auch zu beweisen, wollte Frank Rost Werder schon verlassen. Der Verein kann glücklich sein, daß sich das Torwartproblem auf so elegante Weise gelöst hat. Rost war dran, das hat Oliver Reck wohl gespürt und die Konsequenzen gezogen.

Wer ist der Beste?

Raphael Wicky! Schweizer Nationalspieler. Schnell, zweikampfstark, fair, mit dem Auge für den Mitspieler. Letzte Saison hat er erst Manndecker gespielt, nun ist er an die Seite von „Magic“ Dieter Eilts ins defensive Mittelfeld gewechselt, hat im UI-Cup endlich sein erstes Tor gemacht. Das Dollste aber: Als Stammlibero Trares ausfiel, hat Wicky den Chef der Abwehr gemacht – so stark und ausgebufft, als hätte er zehn Jahre mehr Erfahrung auf dem Buckel. Nach dem werden sich die europäischen Spitzenclubs noch die Finger lecken. Jede Wette!

taz-Prognose: Knapp daneben ist auch vorbei – Werder 98/99 wird so sein wie Werder 97/98 und Werder 96/97. Vorwärts in den UI- Cup:!

Morgen: Der Verein, dem auch in Zukunft häufig Übles schwanen wird.