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Trennung von Muskeln und Mandat

■ Tagtäglich joggt der bündnisgrüne Fraktionssprecher Joschka Fischer vor Wahlkampfauftritten. Der Oberrealo ist dabei schnell und wenig basisnah

Jeden Tag Wahlkampf, das heißt für den rasenden Oberrealo Joschka Fischer auch: jeden Nachmittag laufen vor Ort. In Aachen hatten sich am Montag bei 35 Grad rund 150 MitläuferInnen eingefunden. taz-Autor Bernd Müllender ist mit Tonband und gerade ausreichender Kondition mitgehechelt.

Kilometer 0, Start.

taz: Können wir ein Interview machen – beim Laufen?

Joschka Fischer:Dann müssen wir langsamer laufen.

Für den Antwortenden?

Ich schätze: für den Frager.

Kilometer 2.

Sind Sie, pfft, schon oft während des Laufens interviewt worden?

Ich hasse es, weil ich beim Laufen gern meine Ruhe habe.

Aber hier laufen 150 Leute mit. Das ist doch Wahlkampfjoggen.

Ja, aber die halten die Klappe. Und die Presse läuft eh hinterher.

Nebenher! Laufen Sie vor irgend etwas weg beim Laufen?

Nein, man löst was: Streß, den Griff der Probleme um die Seele, körperliches Unbehagen. Ich habe mit Laufen eine der schwersten Krisen meines Lebens bewältigt.

Von 100 auf 70.

Von 110, pfft, auf 75, ideales Kampfgewicht.

Ich habe mit Ihnen mal ein Interview gemacht beim Fußball im Frankfurter Ostpark. Sie sagten: Kicken sei wie eine Schreitherapie. Da spare man den Therapeuten...

Ganz richtig. Ich kicke ja auch noch, jetzt als Laufwunder im Mittelfeld. Laufen im Wald aber ist anders: Das hat was Meditatives. Es ist die Entdeckung des eigenen Ichs/Nichts [Tonband undeutlich]. Ich kümmere mich dabei nur um mich. Und wenn ich was mache, dann richtig, volle Brezel. So 'ne Art persönlicher Extremismus ist das. Dazu muß ich mich bekennen.

Sind Sie laufsüchtig?

Nein, Sucht ist was anderes.

Wollen Sie manchmal nicht faul sein? Artenschutz für den inneren Schweinehund!?

Nein. Der Schweinehund ist weggeschrumpft. Ein Vorteil des Alters. Ich ziehe das eben jeden Tag durch, so eine Stunde. Vor jeder Abendveranstaltung. Dann bin ich frisch beim Reden.

Kilometer sechs, großes Transparent: „Joschka, du läufst für die Publicity, Flüchtlinge um ihr Leben.“

Das stimmt nicht. Das stimmt nicht. Der erste Satz.

Hilft das Rennen auch in den Bundestag – als Laufschuh-Minister?

Ach was, Politik und Sport trennen wir mal...

Sollten andere auch laufen? Jürgen Trittin vielleicht mit seinen Storchenbeinen?

Läuft doch! Der läuft auch!

Kilometer 7,5. „Dreiländereck“, ruft einer.

Wir sind jetzt oben, 321 Meter, am Europapunkt, im Volksmund: Dreiländereck. Ein Stichwort...

Nehmen wir die Niederlande – als Vorbild im Fußball, beim Abbau von Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung und bei den Ökosteuern!

Heftiger Applaus ringsum. Es geht bergab. Fischer zieht an.

Noch eine Frage, Herr Fischer...“

Weg ist er. Kilometer neun. Erster Mitläufer kollabiert. Krankenwagen heult heran. Kilometer 12: Ziel. Laufzeit weniger als eine Stunde.

Pfft, die Strecke hatte es in sich.

Herr Fischer, das Wahlvolk murrt: Sie seien zu schnell gewesen. Keine Basisnähe, heißt es.

Unsinn, ich bin eben so schnell. Laufen ist kein Parteitag.

Strenge Trennung von Mandat, Macht und Muskeln!

Außerdem sind hier zwei Frauen aus Aachen so fix vorneweg gelaufen. Die haben das Tempo angezogen. Wie bei uns Grünen. Da haben eben die Frauen die Nase vorn.

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