piwik no script img

Fahrverbot – und keiner hat's gemerkt

■ Zum ersten Mal durften gestern Autos ohne Kat wegen Ozonalarm nicht fahren – jedenfalls in vier Bundesländern und rein theoretisch. Doch niemand hielt sich dran, und keiner wollte es kontrollieren

Berlin (taz) – Die Sommersmog-Verordnung aus dem Bundesumweltministerium hat sich gestern in Qualm aufgelöst. Obwohl in Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland wegen Überschreitung der Ozongrenzwerte ein allgemeines Fahrverbot für Autos erlassen wurde, rollten kaum weniger Kraftfahrzeuge über die Straßen. Die Polizei meldete, der Verkehr laufe „wie sonst auch“, und „an das Fahrverbot hält sich praktisch niemand“. Nicht einmal die normalen Tempolimits würden eingehalten. Nur Rheinland-Pfalz meldete, zahlreiche Autofahrer hätten das Verbot befolgt.

Polizeikontrollen gab es kaum. In Hessen wurden keine speziellen Kontrollstellen eingerichtet, erklärte das Innenministerium; Autofahrer ohne schadstoffarme Autos sollten nur verwarnt werden. Auch in Rheinland-Pfalz lautete die Anweisung, die Autos ohne Plaketten nicht aus dem laufenden Verkehr zu fischen, sondern „zunächst großzügig zu verfahren“. In Baden-Württemberg sollte die Polizei verstärkt Streife fahren.

Das Fahrverbot war gestern bundesweit zum ersten Mal in Kraft getreten, weil nach der Sommersmog-Verordnung die Grenzwerte von 240 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft überschritten waren. Bundesweit gilt der Verkehr als Verursacher von etwa 60 Prozent der Vorläufersubstanzen für den Sommersmog.

Nach der Verordnung von 1995 sind grundsätzlich alle Pkw mit geregeltem Katalysator vom Fahrverbot ausgenommen. Auch Polizei und Rettungsdienste, der öffentliche Nahverkehr, Militärfahrzeuge, Berufspendler und Urlaubsreisende brauchen nicht zu Hause zu bleiben. „Von den insgesamt 41 Millionen in Deutschland gemeldeten Autos sind etwa 10 Millionen potentiell vom Verbot betroffen“, erklärte gestern Martin Waldhausen vom Bundesumweltministerium gegenüber der taz. Für ihn ist die flächendeckende Mißachtung des Fahrverbots kein Rückschlag. „Wir können jetzt noch nicht abschätzen, wieviel Ozon tatsächlich verringert wurde, da müssen wir die Ergebnisse genau auswerten.“ Dies soll Ende 1999 erfolgen, wenn die Verordnung ausläuft.

Darauf will die Opposition nicht warten. Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Michael Müller, forderte ein neues Ozongesetz, das sich an den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO orientiert: Alarm bei 110, Tempolimit bei 160 und Fahrverbote bei 210 Mikrogramm. Auch die Verkehrsexpertin der Bündnisgrünen, Gila Altmann, erklärte die Ozonpolitik von Umweltministerin Angela Merkel (CDU) für gescheitert: Sie bewirke keine „Entlastung für ozongefährdete Kinder, Alte, im Freien arbeitende Menschen und die Umwelt“. Der Staatssekretär im hessischen Umweltministerium, Rainer Baake, nannte die Sommersmog-Verordnung des Bundes „völlig untauglich“. Er erinnerte daran, daß die Bundesregelung 1995 durchgesetzt worden sei, um eine schärfere Verordnung durch die Länder zu verhindern. „Viele Länder waren damals bereit, den hessischen Weg mitzugehen, bei 180 Mikrogramm Tempolimits zu erlassen“, so Baake. Notwendig sei neben einer grundsätzlichen Umorientierung der Verkehrspolitik auf Verkehrsvermeidung ein Bundesgesetz mit flächendeckenden Tempolimits ab 180 Mikrogramm.

In allen Ländern dürfen die Fahrer heute wieder ans Steuer – das Tief „Heidrun“ sorgt für Entspannung. Damit ist auch die Grundlage für einen Betrüger in Heilbronn entfallen. Der „polizeiähnlich gekleidete Mann“ forderte von einer Autofahrerin 40 Mark Bußgeld wegen einer fehlenden Kat-Plakette. Die Frau bezahlte anstandslos. Bernhard Pötter

Berichte Seite 2

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen