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Tschechow am Bremer Broadway

■ Die Theatergruppe und -schule „Studio 13“ führt mehrere „Kompositionen“ auf, die auf Stücken von Anton Tschechow basieren / Man spürt sofort: Hier passiert etwas Wesentliches

Viele Jahre lang hat der New Yorker Theaterregisseuer Andre Gregory mit Wallace Shawn und ein paar Freunden Anton Tschechows Stück „Onkel Wanja“ geprobt: „Nur so zum Spaß“ und ohne jeden Gedanken an eine öffentliche Aufführung. Bis dann Louis Malle kam und das Projekt in seinem Film „Vanja auf der 42. Straße“ dokumentierte. Tschechows Stücke eignen sich offensichtlich ideal für solche Projekte, die die Schauspieler eher für sich selber als für ein Publikum machen. Seine Charaktere sind so ambivalent und haben so viel Tiefe, daß die Darsteller sich lange an ihnen versuchen können und dabei immer neue Nuancen finden.

In Bremen macht dies seit einem Jahr die Theatergruppe und -schule „Studio 13“ um den Regisseur und Schauspiellehrer Markus Herlyn. Ihr ist sicher nicht die ironische Pointe verborgen geblieben, daß ihr Studio ausgerechnet am Breitenweg liegt, der etwas verwegen übersetzt ja Bremens „Broadway“ ist.

„Play Cechow“ nennt die Gruppe ihr Projekt, und tatsächlich fällt als erstes ihr spielerischer Umgang mit den Texten des russischen Dramatikers auf. In den „Kompositionen“ werden Liebesszenen aus verschiedenen Stücken wie „Die Möwe“, „Der Kirschgarten, „Onkel Wanja“ oder „Drei Schwestern“ aneinandergereiht – manche Szenenfolgen sind um ein einzelnes Stück konzentriert, andere sind Cocktails aus bis zu drei Stücken. Es wird als gegeben vorausgesetzt, daß das Publikum mit den Stücken vertraut ist, und oft sind die Personen in einzelnen Szenen doppelt oder gar dreifach besetzt. So hört und sieht man den Dialog mit einem Echo von anderen Darstellern, die ihn dann jeweils mit anderer Betonung, emotionalem Gehalt und Timing darstellen. Man braucht eine Zeit, um sich daran zu gewöhnen, aber bald bildet gerade diese Verfremdung einen der Hauptreize der Aufführung. Die zwölf Darsteller des Ensembles (von denen einer mit Wanja Kunstleben einen Namen hat, der wohl zu schön ist, um echt zu sein) wechseln auch munter während des Stücks die Rollen, so daß etwa fast jede Frau im Ensemble mindestens einmal die Irina aus den „Drei Schwestern“ spielt.

Das Ensemble besteht aus einer Mischung aus professionellen TheatermacherInnen und Laien aus der Kultur- und Therapeuten-Szene (ein Ergotherapeut, ein Musikpädagoge, eine Psychologin, ein „angehender Student der Linguistik und Philosophie“ usw. Laut Informationsmaterial beschäftigen sie sich seit 1996 oder 1997 „mit der Theaterarbeit“). Entsprechend ist auch das Gefälle bei den schauspielerischen Leistungen. Aber da es bei diesem Projekt nur sekundär darum geht und im Mittelpunkt die eigenen Erfahrungen der Darsteller bei der Verkörperung der Figuren stehen, macht dies die Vorführung eher noch interessanter.

Auch aus der Not der begrenzten Räumlichkeiten hat das Ensemble eine Tugend gemacht. Die in dieser Woche stattfindenden Inszenierungen sind jeweils nachmittags im Freien an der Wiegandbrücke im Bürgerpark zu sehen. Abends werden sie im Studio am Breitenweg 13 gezeigt. Dort wurde die Guckkasten-Perspektive des traditionellen Theaters dadurch aufgehoben, daß die Zuschauer an drei Wänden sitzen und der gesamte Rest des Raums von den Schauspielern genutzt wird.

Etwas abenteuerlich und manchmal auch holprig ist all das schon, aber zumindest bei der Aufführung der „Komposition I, Stück: Drei Schwestern“ am Mittwoch abend gab es einige sehr intensiv gespielte Szenen und interessante Regie-Ideen. So fiel etwa der originelle Umgang mit den Requisiten auf: In den Sektgläsern bei einer Geburtstagsfeier waren brennende Kerzen, und Curtis Burz spielte den Monolog seines schon eher irrsinnigen als nur liebeskranken Solyoni mit einer kleinen Plastikpuppe, die er wie ein Tier umsprang, beschnüffelte und schließlich auszog.

Wer konventionelles Theater mit einem immer verständlichen, in sich geschlossenen Tschechow-Stück erwartet, ist bei den Aufführungen von „Play Cechov“ sicher fehl am Platze. Die Szenen und Figuren sind eher Ausgangspunkte, von denen aus sich die Akteure frei entwickeln können. Diese Art der Inszenierung ist manchmal schwer für das Publikum nachzuvollziehen, aber man spürt oft, daß hier etwas Wesentliches passiert. Ein spannendes Theatererlebnis allemal, aber lesen Sie sich doch besser die Stücke vorher noch mal durch.

Wilfried Hippen

Vorstellungen, jeweils um 16 Uhr an der Wiegandbrücke im Bürgerpark und um 20.30 Uhr im Studio 13, Breitenweg 13: heute, 14. 8., sowie Samstag und Sonntag

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