: Der Journalist unter der Tarnkappe
■ René Drommert, ältester aktiver Kulturredakteur Hamburgs, feiert heute den 90. Geburtstag
Er ist in einem Alter, in dem man nicht nur Bilanz zieht, sondern bei seinen Resümees auch endgültige Weisheit für sich beanspruchen darf. Und doch erliegt René Drommert dieser Versuchung nicht. Noch an seinem 90. Geburtstag leistet sich der immer noch Tag für Tag sein Büro bei der Zeit aufsuchende Kulturredakteur den Zweifel an wichtigen Entscheidungen seines Lebens.
Etwa an seinem Entschluß, nicht die Malerei zum Beruf zu machen. Seit seinem sechsten Lebensjahr malt Drommert mit Leidenschaft. Aber kurz vor dem Abitur kamen ihm Zweifel an seinem Talent. Und obwohl er bereits als 16jähriger fünf Bilder in der Hamburger Kunsthalle ausstellen konnte, glaubte er, seine Idole Max Liebermann und Lovis Korinth niemals erreichen zu können. Heute seine Bilder betrachtend, sagt René Drommert: „Ob ich ein großer Künstler geworden wäre, kann man den Bildern nicht ansehen, aber das Gegenteil kann man auch nicht behaupten.“ Und so kommt er – entgegen allem landläufigen Lob für seine Haltung – zu dem Schluß: „Enorm prononcierte Selbstkritik hat etwas Zerstörerisches.“
„Ich bin ein Maler unter der Tarnkappe des Journalisten“, sagt er deshalb nach 50 Jahren als Feuilleton-Redakteur über sich. Als „degenerierter Balte“ tituliert René Drommert sich kokett selbst. Doch von degeneriert kann natürlich keine Rede sein. Von Balte auch nur mit Einschränkungen. Denn von den 90 Jahren seines Lebens hat der zierliche Herr – der es als Stilfrage betrachtet, seine Besucherin beim Abschied bis zu ihrem Fahrrad zu begleiten – immerhin 67 in Hamburg zugebracht.
Seine baltische Heimat in Riga hat Drommert Ende Juni 1919 schon als 15jähriger gemeinsam mit seinen Eltern auf der Flucht vor den lettischen Revolutionswirren verlassen. Der drei Jahre ältere Bruder blieb zurück, um „blödsinnigerweise als Freiwilliger gegen die Roten zu kämpfen“. Trauer und Mißbilligung mischen sich in der Stimme des grauhaarigen Antimilitaristen bei der Erinnerung an seinen Bruder, der diesen Einsatz nur um wenige Monate überlebte.
Geblieben sind René Drommert aus der Zeit in Riga das charakteristische – leicht gerollte – baltische R und die Erinnerungen an seine Jugend in einem bürgerlichen Heim, das er so nie wieder gefunden hat: „Danach habe ich oft im Elend gelebt“, so faßt er die materielle Seite seines Lebens zusammen. Brüche und Mißverständnisse prägen das Leben des gebildeten Mannes. Nach dem Studium der Kunstgeschichte bei Aby Warburg und Erwin Panofsky in Hamburg und der Romanistik in Berlin begann Drommert sein Berufsleben als Assistent an der Hamburger Universität. Sein Eintreten für den als Demokrat und Judenfreund von der Hochschule verjagten Romanisten Walther Küchler beendete diese Karriere, kaum daß sie begonnen hatte. Acht Jahre bis zur Einberufung 1941 schlug sich Drommert als freier Autor von Theaterkritiken durch. Im Krieg mußte er, der studierte Romanist, als Russisch-Dolmetscher an der Ostfront Gefangene vernehmen. Noch heute packt ihn die Erkenntnis, daß das Leben der russischen Soldaten an seiner Übersetzung hängen konnte.
Auch später hat seine Umwelt stets mehr seine Kenntnisse des Russischen und Lettischen beachtet als die der romanischen Sprachen. Drommert nutzte das produktiv, indem er Gorkijs Nachtasyl sowie Gedichte von Lermontov und Jewtuschenko übersetzte.
Die Jahre ohne feste Stelle haben ein tiefes Loch in die Rentenbiographie des Journalisten gerissen. Daran konnte auch seine Tätigkeit nach dem Krieg nichts mehr ändern. Zwölf Jahre war Drommert Redakteur beim Hamburger Anzeiger. In dieser Zeit hat er sich einen Namen als Förderer der Hamburger Theaterlandschaft gemacht. Und das nicht nur mit seinen Kritiken, sondern auch durch seinen Kampf mit der Finanzbehörde um die Abschaffung der Vergnügungssteuer für Komödien. Als Bewunderer von Hans Henny Jahnn hat er sich für die Verleihung des Lessing-Preises der Stadt Hamburg an den schwierigen Literaten eingesetzt. 1986 wurde Drommert für seine Verdienste um Kunst und Kultur vom Senat ausgezeichnet: mit der Biermann-Rathjen-Medaille. Seit 1957 arbeitet er für Die Zeit und ist ihr auch nach seinem 65. Geburtstag treu geblieben.
Allen Widrigkeiten zum Trotz verläßt ihn bei der Rückschau auf sein Leben nie der leichte, ironisch-amüsierte Ton. In seiner nüchternen Skepsis ist er dann doch ein echter Balte. Iris Schneider
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen