: Steuerflüchtige quasi unter Naturschutz
■ Steuerfahnder monieren, daß in Deutschland zu wenig getan werde, um Steuerhinterziehern auf die Schliche zu kommen. 50 Milliarden Mark mehr könnten in die Staatskassen fließen
Köln (taz) – Nur die wirksame Bekämpfung der Steuerkriminalität kann, so die deutsche Steuergewerkschaft, den finanziellen Spielraum schaffen für eine radikale Steuerreform. Seit es dem Häuflein von insgesamt 1.500 deutschen Steuerfahndern gelang, die Großbanken an den Pranger zu stellen, hat ihr Berufsstand an Ansehen gewonnen.
Auf dem Strategietreffen der deutschen Steuergewerkschaft vergangene Woche in Königswinter formulierten 100 Steuerfahnder ihre Wünsche an den Gesetzgeber – Wünsche, mit denen sie dem Staat unter die Arme greifen wollen. Der Bund ist mit 899 Milliarden Mark verschuldet, das heißt, die Regierung hat keinerlei Spielraum mehr, um die Abgabenschraube zu lockern und die Steuerflüchtlinge mit einem gerechten Steuersystem zur ehrlichen Steuererklärung zurückzulocken.
Die Prognosen des Gesetzgebers über die Einnahmen aus der dreißigprozentigen Zinsabschlagsteuer haben Privatanleger durch Hinterziehung in beeindruckendem Ausmaß unterboten: Im vergangenen Jahr blieben die Einnahmen aus dieser pauschalen Kapitalertragsteuer um 24 Milliarden Mark oder 65 Prozent unter der erwarteten Summe.
Als wichtigstes Hindernis machen die Steuerfahnder das Bankgeheimnis aus, von den Bankenverbänden in Quasi-Gesetzesrang gehievt. Die bankenfreundliche Formulierung im Paragraph 30 der Abgabenordnung lautet: „Bei der Ermittlung des Sachverhaltes haben die Finanzbehörden auf das Vertrauensverhältnis zwischen den Kreditinstituten und deren Kunden besonders Rücksicht zu nehmen.“ Dieser Naturschutz für Bankkunden bewirkt, daß Kontenstände, Kontonummern oder Depots im Normalfall nicht abgefragt werden dürfen.
Ein großes Ärgernis für die Hüter der Steuergerechtigkeit sind auch die Landesgrenzen. Ihre Ermittlungsbefugnisse sind dort regelmäßig beendet. Da unterhält Unternehmer A bei einer ausländischen Bank ein Schwarzgelddepot unter dem Namen eines fiktiven Unternehmens B. Das Scheinunternehmen B tritt nun auf dem Papier als Kreditgeber von A auf, der die angeblichen Darlehenskosten dann auch noch als Betriebsausgaben absetzt und sein Geld nebenher weißwäscht.
Die Anregung der Steuerfahnder an den Gesetzgeber: Im Rahmen von Rechtshilfeabkommen den „kleinen Grenzverkehr“ zwischen den Steuerfahndungsstellen einzuführen sowie die Umkehr der Beweislast zu Lasten des Beklagten. „Datenschutz in dieser Form ist Täterschutz“, so kommentiert Steuerfahnder Reiner Lessner den fehlenden Datenaustausch zwischen den Finanzämtern der Länder. Die Selbstbeschränkung aus datenschutzrechtlichen Gründen helfe bei der Verschleierung krimineller Aktivitäten von Anlagebetrügern, Autoschiebern, Menschenhändlern oder Verleihern von Schwarzarbeitern.
Fehlende EDV-Ausstattung zwingt die Beamten zur antiquarischen Fallerfassung mittels Stapeln chronologisch sortierter Akten und Karteikästen. Was Fahnder seit 20 Jahren erträumen, fehlt ihnen bis heute: das bundesweite Steuerkennzeichen für jeden Steuerpflichtigen, welches Grunddaten, Gewerbe und Steuersünden erfaßt.
Eine neue Quelle des Steuerfahnderfrustes sind Computer, die von immer mehr Unternehmen zur Steuerhinterziehung genutzt werden. Durch den Mangel an EDV-Spezialisten geht den Finanzämtern viel Geld durch die Lappen. Nur durch Zufall fiel Reiner Lessner bei der Durchsuchung der Geschäftsräume eines Speditionsunternehmers ein Paßwort in die Hände. Versteckt war darunter die vor den Behörden geheimgehaltene Personenbeförderung – 800.000 Mark Nachzahlung und ein Strafbefehl waren die Folge.
Die bei Steuerfahndern berüchtigte „Pommes-Connection“ zwischen Gastwirten und Großhandel zum Beispiel ermöglicht, nur einen kleinen Teil des Einkaufs auf dem personenbezogenen Konto des Kunden zu registrieren. Der Löwenanteil wird als „Barverkauf“ abgerechnet und nicht registriert. Der Betreiber einer Pizzeria etwa kann so zwei Drittel seines Bedarfes an Lebensmitteln bar erwerben – und versteuert nur ein Drittel seiner Einnahmen. Die Anregung der Fahnder an den Gesetzgeber ist einfach: den Grosshandel zu verpflichten, sämtliche Wareneinkäufe aus dem Groß- und Einzelhandelsbereich auf Personenkonten aufzuzeichnen.
Auch auf dem Wunschzettel steht ein TÜV für elektronische Registrierkassen. Derzeit können nämlich die Verkäufer in den Läden problemlos Umsatz in die Kasse eintippen, ohne daß dieser in der Tagesendsumme auftaucht. Die nicht registrierten Beträge können schwarz aus der Kasse genommen werden. Dieter Ondracek, Chef der Steuergewerkschaft, schätzt, daß bei konsequenter Umsetzung der Vorschläge binnen zwei Jahren mindestens 50 Milliarden Mark Steuern mehr eingenommen würden. Cornelia Gürler
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