: Sozialhilfebericht mit Männer-Makel
■ Sozialhilfe im Städtevergleich: Bremen hält einen traurigen Rekord. Zehn Prozent der Bevölkerung leben mindestens teilweise von der Stütze / Wird für Männer mehr getan?
Bremen ist im bundesweiten Vergleich traurige Spitzenreiterin, wenn es um Armut und Sozialhilfebezug geht. Von 1.000 EinwohnerInnen der Hansestadt beziehen 99 regelmäßig Hilfe zum Lebensunterhalt, während es im Bundesschnitt „nur“ 60 sind. Dies geht aus einer von der Senatorin für Frauen, Gesundheit, Jugend, Soziales und Umwelt gemeinsam mit der Kienbaum Unternehmensberatung vorgelegten Studie hervor, die 15 deutsche Großstädte, darunter Frankfurt, München und Hamburg, für das Jahr 1997 vergleichend unter die Lupe nimmt. Danach haben es auch die 18-35jährigen an der Weser offenbar schwer. Von 1.000 EinwohnerInnen dieser Gruppe beziehen hier 110 Stütze – fast doppelt soviele, wie im Durchschnitt in anderen Großstädte.
Ähnlich drastisch stellt sich die Lage für die unter siebenjährigen Kinder dar. Für jedes vierte von ihnen fließt in Bremen Geld aus der Sozialkasse. Doch es kommt noch härter. Der Studie zufolge verzeichnet „Bremen deutlich mehr Fälle, die langfristig Sozialhilfe beziehen, als andere Vergleichs-Großstädte“. Offenbar wird es immer schwieriger, von der Stütze wieder loszukommen. Das läßt sich auch an dem hohen Anteil von Arbeitslosen und Langzeitarbeitslosen ablesen, die ohne einen Zuschuß vom Sozialamt schon lange nicht mehr über die Runden kämen.
So sieht es auch der Sprecher von Sozialsenatorin Christine Wischer (SPD), Olaf Joachim. „An diesen Zahlen wird sehr deutlich, daß wir es hier mit einem strukturellen Problem zu tun haben.“ Daraus sei vor allem eines abzuleiten: „Man kann dafür weder die Behörde noch die in Notlage geratenen Bürger verantwortlich machen.“ Es müsse vielmehr darum gehen, Lösungen zu finden. Dies geschehe u.a. im Austausch mit anderen Städten; wertvolle Grundlage sei dabei die vergleichende Studie, die in diesem Jahr bereits zum dritten Mal bundesweit erstellt bzw. aktualisiert wurde – für 10.000 Mark.
Tatsächlich weist die Studie aus, wo sich Bremen überdurchschnittlich engagiert. So flossen 1997 elf Prozent der Summe, die für die „Hilfe zum Lebensunterhalt“ zur Verfügung steht, in den Fonds für das deutlich ausgeweitete Programm „Hilfe zur Arbeit“. Damit landet die Hansestadt mittlerweile auf dem dritten Platz der Vergleichstabelle. Entsprechend hat sich die Zahl der SozialhilfeempfängerInnen, die sich am Job-Programm beteiligt haben, fast verdoppelt. Soweit die Ergebnisse der Studie, die, so ihr Vorwort, auch helfen will, Sozialhilfeabhängigkeit zu vermeiden und zu überwinden und Leistungen bedarfsgerecht zu gestalten und zu bewilligen. Sprecher Joachim: „Die Intention ist nicht zu prüfen, wo können Leute weniger bekommen?“ Allenfalls gehe es – etwa bei den leicht erhöhten Zahlungen für die Einmal-Hilfe im Bereich Kleider oder Hausrat – darum zu überlegen, wo Verwaltungskosten reduziert werden können. Vorrangig aber sei die Suche nach Lösungen. „Deshalb wird gerade bei der Hilfe zur Arbeit künftig ein Schwerpunkt liegen.“
Wie aber sieht bedarfsgerechte Bewilligung und Gestaltung aus? Diese Frage stellt sich umso mehr, als die gesamte Studie nicht geschlechtsspezifisch differenziert – obwohl 54 Prozent der Sozialhilfe-BezieherInnen laut Statistik weiblich sind. Auch bei der Werkstatt Bremen, die beim neuen Vorzeigeprogramm „Hilfe zur Arbeit“ federführend ist, weiß man darauf so recht keine Antwort. Hier heißt es: „Bei uns bewerben sich zu 60 Prozent Männer. Entsprechend werden die Stellen auch besetzt.“ Weitere – etwa geschlechtsspezifische Hintergründe – seien unbekannt.
Tatsächlich weist die Studie nur an einer Stelle Frauen deutlicher aus: In Bremen würden alleinerziehende Elternteile zunehmend bedürftig, heißt es. Betroffen seien „insbesondere Frauen und Kinder.“ Erst die Nachfrage bei der Statistikerin in der Sozialbehörde ergibt: 96 Prozent der alleinerziehenden SozialhilfeempfängerInnen sind Frauen. ede
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