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Ein Schritt hinaus aus dem Elfenbeinturm

Der Internationale Mathematiker-Kongreß mit 3.500 Teilnehmern an der Technischen Universität will die hohe Wissenschaft dem gemeinen Volk mit populärwissenschaftlichen Vorträgen näherbringen  ■ Von Jutta Wagemann

Wieso läuft auch eine zerkratzte CD einwandfrei? Wie funktioniert die Früherkennung von Brustkrebs? Wie kann man Unterschriften im Internet verschlüsseln? Die simple Lösung lautet: mit Mathematik. Das dürften zumindest die 3.500 Teilnehmer des Internationalen Mathematiker-Kongresses antworten, die von heute an eineinhalb Wochen in der Technischen Universität (TU) tagen. Nach 94 Jahren findet zum erstenmal wieder der Mathematik-Weltkongreß in Deutschland statt.

In 20 Plenarvorträgen, 160 Gastreden, 34 Satellitenkonferenzen und 1.250 Kurzbeiträgen werden sich die Mathematiker aus 96 Ländern über den neuesten Stand der Forschung austauschen. Daß selbst Mathestudenten dabei nur wenig verstehen dürften, ist für die Wissenschaftler irrelevant. Doch auch untereinander ist die Kommunikation schwierig, räumten einige Vertreter der Disziplin gestern vor der Presse ein. „Oft entdeckt man unerwartete Querverbindungen zu einem anderen Spezialgebiet“, berichtete Professor Friedrich Hirzebruch, ehemaliger Direktor des Max-Planck-Instituts für Mathematik in Bonn und Ehrenpräsident des Organisationskomitees.

Als verschrobene Wissenschaftler im Elfenbeinturm wollen die Mathematiker jedoch nicht länger gelten. Denn das abschreckende Image ihrer Wissenschaft merken sie inzwischen auch an sinkenden Studentenzahlen. Das Kongreßprogramm enthält daher einen großen populärwissenschaftlichen Teil, der für die Öffentlichkeit zugänglich ist. In der Urania berichten Professoren über angewandte Mathematik, womit die eingangs gestellten Fragen beantwortet werden sollen.

Die Wissenschaftler verlassen sich allerdings nicht allein auf ihre Fähigkeit, Mathematik verbal zu vermitteln. In drei Ausstellungen in der Urania soll der Zahlensalat sinnlich erlebbar werden, etwa bei der „Mathematik zum Anfassen“: Zylinder aus Seifenhaut, Geheimschriften und ein Kaleidoskop zum Reinkrabbeln werden geboten. „Mathematische Steinskulpturen“, die er nach mathematischen Modellen erstellt hat, präsentiert Klaus Becker. „Mathematik und Keramik“ schließlich zeigt Keramikarbeiten, die von geometrischen Formeln abgeleitet wurden.

Unter dem Motto „So anschaulich wie möglich“ steht auch das „VideoMath-Festival“. 24 Computertrickfilme zeigen mathematische Strukturen, etwa eine Kugel, die sich in sich selbst umkrempelt. Das Publikum kann den besten Film prämieren.

Höhepunkt des Kongresses ist die heute stattfindende Verleihung der Fields-Medaillen und des Nevanlinna-Preises. Da es einen Nobelpreis für Mathematik nicht gibt, hat die Fields-Medaille, die nur an Wissenschaftler unter 40 Jahren verliehen wird, diesen Rang eingenommen. Der Nevanlinna-Preis wird für mathematische Aspekte in der Informationswissenschaft verliehen.

Allzusehr sollten sich die Mathematiker gar nicht um einfache Erklärungen bemühen. Denn wie sagte FU-Professor Martin Aigner gestern: „Obwohl die Öffentlichkeit gar nicht weiß, was wir tun, sind alle davon überzeugt, daß wir gescheit sind.“

Das genaue Programm ist bei der Urania oder im Internet zu erfahren: www.tu-berlin.de/presse/pi/ 1998/pi149.htm

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