: Wenn Maiskörner vom Himmel fallen
Die UN-Luftbrücke zur Versorgung der hungernden Zivilbevölkerung im Südsudan hat bisher den Hunger nicht gestillt. Zu groß sind die logistischen Probleme, zu unkontrollierbar der Verbleib der Hilfsgüter ■ Aus Marial Peter Böhm
Makiu Ajiok ist dem Tod entkommen. Bis auf die Knochen abgemagert und nackt, sitzt sie zusammen mit ihren zwei Kindern unter einem aus Brettern zusammengezimmerten Dach – im Ernährungszentrum der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ (Schweiz).
Wenn sie wieder auf den Beinen ist, wird Makiu Ajiok das Zentrum allerdings verlassen müssen, denn hier können nur die schlimmsten Fälle wiederaufgepäppelt werden. Sie wird dann versuchen müssen, etwas von dem Getreide zu ergattern, das die großen Transportflugzeuge der UNO seit Donnerstag über Marial im Zentrum der südsudanesischen Provinz Bahr-al- Ghazal abwerfen.
„Nachdem mein Mann gestorben ist“, berichtet die Frau, deren zwei von vier Kindern auch verhungert sind, „glaubte ich einfach nicht mehr die Kraft zu haben, um mich und meine Kinder zu ernähren.“ Wie alt sie ist, weiß sie nicht. Da sie vier Kinder hatte, schätzt der Übersetzer: „So um die 30.“ Sie kam vor einer Woche hierher aus einem Dorf, „einen Tag von Marial entfernt“, also 15 bis 20 Kilometer zu Fuß.
Der Hunger im südsudanesischen Bahr-al-Ghazal ist keine Frage von Wochen. Es dauert Monate, bis sich die Muskeln zurückbilden, so daß man kaum mehr stehen oder gehen kann, bis das Fleisch aus dem Gesicht verschwindet und sich die Haut über dem Schädel spannt wie bei einem Skelett. Seit vergangenem Dezember, als die Lebensmittelvorräte in der Region zu Ende gingen und es keine neue Ernte gab, weil der Regen ausgeblieben war, hungern diese Menschen. Sie ernährten sich von Blättern oder was sie sonst auflesen konnten.
Das Elend im Südsudan war bekannt, die Katastrophe vorherzusehen. Es wurde dann durch den Angriff Kerubino Bols auf Wau, die größte Stadt Bahr-al-Ghazals, verstärkt. Kerubino, ein Veteran der südsudanesischen Rebellenbewegung SPLA, der schon mehrere Male die Seite gewechselt hatte, desertierte im Januar von der Regierungsseite zurück zur SPLA und versuchte die Stadt von innen einzunehmen. Tausende Menschen mußten fliehen und von der ohnehin schon notleidenden Bevölkerung in anderen Regionen mitversorgt werden.
Wieso dauerte es dann trotzdem Monate, bis massive Hilfslieferungen einsetzten? Der späte Beginn zeigt die Schwäche der „Operation Lifeline Sudan“ (OLS), dem unter der Schirmherrschaft der UNO 1989 mit der SPLA und der sudanesischen Regierung geschlossenen Abkommen, das die Zustimmung beider Kriegsparteien zu Hilfslieferungen vorsieht. Indem es die Versorgung der Bevölkerung zur UN-Angelegenheit erklärt, ermöglicht es nämlich beiden Seiten, den Krieg auf dem Rücken der Zivilbevölkerung auszutragen und den Hunger als Druckmittel einzusetzen. Die Regierung verweigerte konsequenterweise nach Kerubinos Angriff auf Wau die Versorgung der hungernden Bevölkerung, und Kerubino mußte daraufhin aufgeben.
Doch die logistischen Probleme der OLS und ihre Unflexibilität liegen nicht am Krieg allein. In vielen Regionen Bahr-al-Ghazals wurde seit Jahren nicht mehr gekämpft. Die Regierung beherrscht in dieser Hochburg der SPLA nur vier Garnisonsstädte. Marial zum Beispiel ist ununterbrochen seit 1984 in der Hand der SPLA-Rebellen.
Noch im Juni stand der OLS nur ein großes Herkules-Transportflugzeug zum Nahrungsmittelabwurf zur Verfügung. Inzwischen sind es mehr als ein Dutzend. Dann aber klappt der Nachschub der Getreidelieferungen nach Lokichokio, dem wichtigsten Flughafen der OLS-Luftbrücke im Norden Kenias, nicht. Die Folgen der Versäumnisse sind tragisch: Noch heute steigen die Sterbezahlen in den am schlimmsten betroffenen Regionen, anstatt zu stagnieren oder gar zu fallen.
Als es schon zu spät war, begann die OLS den Kampf gegen den Hunger vor allem in den Medien zu führen und nicht vor Ort. Nach einer Reise nach Bahr-al-Ghazal Mitte Juli verkündete die Unicef- Direktorin Carol Bellamy – sie ist für die Koordinierung der OLS zuständig –, man werde die Zahl der Ernährungszentren auf 40 verdoppeln. Noch heute sind es nur 20.
Und auch die angekündigte „größte Abwurfaktion in der Geschichte“ erinnert vor Ort eher an einen Kampf gegen Windmühlen als an eine konzertierte Aktion. Zwei sogenannte Nahrungsmittelbeobachter befinden sich am Boden und nehmen die Getreidesäcke, zumeist gefüllt mit Mais, in Empfang. Dann kommt ihnen die schwierige Aufgabe zu, der zivilen SPLA-Verwaltung und den Dorfchefs zu erklären, daß das Getreide nur für wenige Menschen reicht, nämlich die am meisten notleidenden. Die Dorfchefs müssen unter sich ausmachen, wieviel jedem Dorf zukommt, und einem Komitee aus zehn Frauen und Männern kommt die Aufgabe zu, die Rationen zu verteilen. Die Berichte aus einigen Regionen, daß junge Männer im Gegensatz zu Alten, Frauen und Kindern verhältnismäßig wohlernährt aussehen, sprechen eine deutliche Sprache darüber, was dann manchmal passiert.
Bei einem Abwurf für „Ärzte ohne Grenzen“ am vergangenen Donnerstag in Marial klinkte die Besatzung ihre Ladung rund 500 Meter zu früh aus, und 400 Säcke mit Mais landeten im Busch. Als die Hilfsorganisation vor Ort war, konnte sie nur noch knapp die Hälfte retten. Den Rest hatten fleißige Hände in mitgebrachte Säcke gesteckt und davongetragen. Die Hilfsorganisation versuchte sich damit zu trösten, daß das Getreide ja wohl nicht in falsche Hände geraten sei. Noch am selben Abend konnte man auf dem lokalen Markt Mais kaufen.
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