: Schokolade als Fruchtfliegen-Promotion
■ Die zwei Jungkünstler Bomas & Klein eröffneten Am Wall eine riesige Galerie (vielleicht nicht nur) auf Zeit
Das Thema Existenzgründung findet in der Ihnen vorliegenden Zeitung ausschließlich auf der Politikseite statt. Das ist nicht gut so. Denn KünstlerInnen hätten durchaus Wesentliches zu diesem Schlüsselproblem unserer Tage beizutragen. Zum Beispiel Rolf Bomas und MT Klein. Von ihnen kann (und sollte – Ausrufezeichen!) man lernen, daß das Aussitzen von allseits beliebten Existenzgründungsseminaren zum Zwecke der Existenzgründung keineswegs erforderlich ist. Zur Gründung einer Galerie zum Beispiel ist nicht viel mehr nötig als ein, zwei intakte Augenpaare, funktionstüchtige Stimmbänder und ein geeignetes Kommunikationsinstrument. Letzteres darf auch ganz oldfashioned ein Telefon sein. Aufgabe der Augen wäre es, in Bremens City prachtvolle, leerstehende Räume in traumhafter Lage auszumachen. Beim derzeitigen Leerstand ein lösbares Problem. Desweiteren müssen sich selbige Augen auf die Suche nach dem obligatorischen Täfelchen mit Name und Anschrift der VermieterIn machen. Job der Stimmbänder wäre es dann, mit Hilfe des Telefons die VermieterIn davon zu überzeugen, daß es Sinn macht, leerstehende Räume mittellosen Künstlern zu überlassen, zumindest solange, bis sich ein solventer Mieter einstellt. Das gibt der ImmobilienbesitzerIn ein gutes Gefühl und viellecht sogar den gesunden Schlaf der Gerechten.
Dank optimalen Zusammenspiels von Augenpaaren, Telefon und Überzeugungskräften hatten Bomas und Klein erstaunlich schnell Erfolg. Seit dem 1. Juli beleben sie rund 200 kostenlose Quadratmeter am Wall – eingeklemmt zwischen Banken, Buchläden und üppigem Leerstand – durch ihre eigene Kunst. Und mit ihrem „sehr netten Hauseigentümer“ sind sie sogar übereingekommen, daß die neue, noch immer namenlose Galerie mittelfristig bleiben darf, wenn in Zukunft wenigstens ein kleines bißchen Miete rausspringen würde.
Die Galerie ist für die beiden Existenzgründungsanfänger gleichzeitig ein praktischer Lehrgang in Sachen Marketing. Da sich das Verführungspotential von Kunst-an-sich in Grenzen hält, erproben Klein und Bomas unterschiedlichste Strategien der Besucheranziehung. Bedenklich, aber wahr: Am erfolgreichsten sind just jene jämmerlichen Jokes, die sich um eines der drei großen F drehen – genau, ums Fressen. Kaum legten die beiden ein paar Täfelchen Bruchschokolade im Schaufenster aus, strömte das niedere Volk herein. Auch der zupackende und doch respektvolle Satz „Darf ich Ihnen ein Schmalzbrot anbieten?“ konnte viele Passanten für die Kunst neben dem Brot erwärmen. Durch solche die Sinnesgrenzen überschreitenden Maßnahmen wurden im Schnitt etwa 20 Besucher pro Tag in die Galerie gelockt. „Das ist zwar nicht viel – aber irgendwie eben doch.“
Wo früher Jalousien (ausgesucht schöne lilafarbene und bronzeschimmernde Restexemplare sind noch zu besichtigen) und Küchenmöbel feilgeboten wurden, malen Bomas und Klein still vor sich hin. Etwas weniger still sind ihre Werke. Klein machte früher in Acryl. „Doch die Hand wollte nicht schritthalten mit der Geschwindigkeit meiner Gedanken. Deshalb benutze ich jetzt den Computer.“ Natürlich erfüllt diese Aussage die strengen Kriterien der Logik nicht. Denn das Zeichnen am MAC ist nicht weniger kompliziert und zeitraubend als das mit der Hand. Trotz Weiterbestehens der zeitlichen Abstimmungsprobleme zwischen Vorsatz und Ausführung sind die Bilder ausgesprochen schön. Menschen mit den rührend wackeligen Konturen bekiffter Kinderzeichnungen schwimmen haltlos in amorphen – schlierigen, welligen, strahlenförmigen – Hintergründen. Tapfer lassen sie den Kampf zwischen lauten Farben – zum Beispiel lila und, nein, nicht bronzemetall, sondern grün – über sich ergehen; doch schüchtern gucken sie aus spiegeleierigen Kulleraugen oder sehen betroffen zu Boden. Nur ein Tiefseetaucher scheint was vorzuhaben. Vielleicht auch der süße Schulbub mit der Blume in der einen Hand und dem Hakenkreuz am anderen Arm vor seinem ganz privaten unendlichen Meer himmelblauer Gefühle. Absoluter Clou der Bilder ist der noble Verzicht auf computertypische Spielereien: graphische Elemente, komplexe Raumverschachtelungen, Collageprinzip. Viele Bilder sehen aus wie Farbausdrucke eingescannter Aquarelle. Man bildet sich ein, die Trockenränder verfließender Farbe zu sehen. Doch die Bildoberfläche ist glatt wie bei einem Plakat: ein aufregender Kontrast. Doch „am liebsten mag ich es, wenn eine Farbe ganz rein kommt“, meint Klein und läßt den Mittelfinger in pixelfreiem Feuerrot baden.
Kollege Bomas ist ein postmoderner Geselle. Keine Gattung der bildenen Kunst ist vor ihm sicher. Mal zeigt er eine tendenziell impressionistische, tendenziell langweilige Ansicht Bremens, mal freut er sich altmodisch-dadaistisch an dieser unserer Welt und ihren tausenderlei Unerheblichkeiten (vom Verpackungsmaterial bis zu den antiken Garderobenmarken des alten Glockekonzerthauses) – nur leider ohne rechten Gestaltungswillen. Andererseits erweckt er ausgerechnet Bremens blöden Roland zu eigenwilligem Leben. Er erkundet beeindruckend sensibel die selbstverliebte Halsbiegung einer Schwangeren – und gruppiert ihre Gipsabdrücke zu Wölkchen. Oder er zeigt wüst-witzige Kopulationsstudien zwischen Kuh und Mann von läppischer Leidenschaft. Wenn Bonas so richtig gemein wird, wird es absolut genial: Schlecht für seine Umwelt, gut für die Kunst. Am schönsten aber vielleicht ist ein Schwarm von Fruchtfliegen auf Apfelschimmel: Das ewige Inneinander von Vermehrung und Verwesung, jaja. Ironie, Ernst und Freude am Obskuren fließen wunderbar konfus ineinander. Eigentlich ist er nur deshalb Künstler, weil er die dazugehörige vagabundierende Existenzform schätzt. Glaubt man ihm sofort. Barbara Kern
Am Wall 178, Di-So meist zwischen 14-20 Uhr; ausstellungswillige KünstlerInnen sind bis auf weiteres höchst willkommen – Kontakt Tel.: 498 60 17
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