: Obdachlose geben Pokal aus Protest zurück
■ Reinickendorf will 15 Millionen Mark teures Obdachlosenheim schließen und es teuer umbauen
Hans-Joachim Kirchhoff streckt der Bürgermeisterin Marlies Wanjura (CDU) forsch den Fußball- Pokal entgegen, den er in das Reinickendorfer Bürgerbüro mitgebracht hat. „Den können sie wiederhaben!“ schimpft er. Dabei hatte sie dem Obdachlosenheim in der Kopenhagener Straße erst im Frühjahr die Trophäe für ein gelungenes Fußballspiel gestiftet. Doch Marlies Wanjura will jetzt in der Kopenhagener Straße keine Bälle mehr rollen sehen. Sie möchte das Heim für wohnungslose Männer zum Jahresende schließen. Gestern machten 40 der derzeit 72 Bewohner ihrem Ärger Luft. „Das ist doch eine Sauerei und ein mieser Finanzskandal!“ erboste sich Michael Ratajczak.
Der Heimbewohner beschwerte sich, weil das 15,5 Millionen teure Haus mit 120 Betten erst 1992 eröffnet wurde und als vorbildliche Einrichtung gilt. Anders als in gewerblichen „Läusepensionen“ würden die Obdachlosen dort von sechs Sozialarbeitern betreut und „menschenwürdig“ untergebracht. Er ist selbst durch etliche „Läusepensionen“ getingelt, bevor er in der Kopenhagener Straße landete. „Gewalt, Alkoholismus und Seuchengefahr“, wie er sie in den gewerblichen Unterkünften erlebt habe, seien dort „undenkbar“. Das hat sich auch auf die Bewohner ausgewirkt: Durch die intensive Betreuung konnten im Schnitt 40 Prozent der Obdachlosen pro Jahr in dauerhaften Wohnungen untergebracht werden. Aus Spargründen soll das Haus nun geschlossen und in ein Verwaltungsgebäude umgewidmet werden. Für den Umbau sind 1,9 Millionen Mark vorgesehen, weil die Beamten die vorhandenen Bäder und Küchen nicht gebrauchen können.
Schon Ende Mai hat Sozialstadtrat Rainer Lembcke (CDU) einen Aufnahmestopp für das Heim verhängt. Dabei kann auch die Schließung den Bezirk teuer zu stehen kommen. Ob der Bezirk, wenn er die Männer auf die Straße setzt und damit die Chancen für eine dauerhafte eigene Bleibe gleich Null sind, wirklich Geld spart, bezweifeln nicht nur die Sozialarbeiter und Obdachlosen. In der letzten Bezirksverordnetenversammlung (BVV) protestierten auch die Grünen und die SPD gegen die Schließung.
„Der Bedarf für ein solches Heim ist doch da“, erklärte gestern ein Sozialarbeiter. In Reinickendorf sind etwa 340 Obdachlose gemeldet, etwa 9.000 in ganz Berlin. Eine endgültige Entscheidung soll am 9. September in der BVV fallen. Die Bürgermeisterin zeigte sich jedoch von dem Protest unbeeindruckt. Das Heim müsse geschlossen werden, weil die Betriebskosten zu hoch seien, sagte sie. Kirsten Küppers
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen