: Warschau bei Berlin
■ Von der schwierigen Verständigung über eine gemeinsame Sprache der Kulturpolitik
Das starke Interesse vieler europäischer Künstler an dem 10. Ideentreff ist wohl nicht zuletzt dem beachtlichen Organisationstalent von Klaus Staeck und seinemAdreßbuch zu verdanken. Bis auf den Architekten der Reichstagkuppel, Norman Foster, der kurzfristig seine Teilnahme aufgrund der Wahrung politischer Neutralität abgesagt hatte, waren viele internationale Künstler vertreten. Der Schauspieler Ben Kingsley und der greise griechische Schriftsteller Antonio Samarakis hielten ebensowenig ihre Wortmeldungen zurück wie der französische Komponist Jean-Michel Jarre oder der polnische Autor Adam Krzeminski. Aber kann es eine gemeinsame Sprache europäischer Kulturpolitik geben?
Zu Differenzen war es anläßlich eines Manifests gekommen, das der Schriftsteller und Ex-Juso Johano Strasser erarbeitet hatte. Das Wort vom Eurozentrismus warf Michael Naumann gleich zu Beginn in die Debatte. „Die Dominanz wirtschaftlicher Interessen“, heißt es darin, „und die ökonomische Verengung des Kulturbegriffs durch die moderne Unterhaltungsindustrie drohen das eigentliche kulturelle Kraftzentrum Europas zu lähmen.“
Aber wo genau liegt dieses Kraftzentrum? Adam Krzeminski verwies darauf, daß zu einer gelingenden europäischen Einigung nicht zuletzt eine vierte Phase der Ostpolitik vollzogen werden müsse. Die erste Phase war die Politik der Ostverträge und der Anerkennung der Oder/Neiße-Grenze. Als zweite beschrieb er die Zeit nach 1989, während die dritte Phase mit der deutsch-polnischen Interessengemeinschaft zum Abschluß gekommen sei. Krzeminski wollte es als Chance zu einer auch ästhetischen Dimension der Ostpolitik verstanden wissen, daß Warschau geopolitisch erstmals näher bei Berlin liegt als Moskau. Während Ben Kingsley sich mit Roger Willemsen über die geringen Chancen des europäischen Films auf dem amerikanischen Markt und die Verflachung des Gesamtniveaus verständigte, zeigte sich, daß im Osten Europas ganz andere kulturelle Fragen anstehen. Daß das bereits jetzt mit Gerhard Schröder zu tun haben kann, zeigte die Einladung des weißrussischen Dokumentarfilmers Jury Chaschtschewatzkj. Dessen ironischer Film über den Präsidenten Lukaschenko ist in Weißrußland verboten. Chaschtschewatzkj wurde in seinem Studio überfallen und verprügelt. Bei einem Treffen mit Lukaschenko während der Hannover- Messe auf den Fall angesprochen, wollte Schröder sich zunächst nur zu rein wirtschaftlichen Dingen äußern. Das Gespräch zwischen Chaschtschewatzkj und Willemsen war nicht nur einer der unterhaltendsten Momente des Abends. Es warf ein Licht auf ganz andere Eurovisionen. hn
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