: „Eine morgens, eine mittags, zwei abends“
■ In Kampen auf Sylt lockt ein Entenfangmuseum nicht nur die Schnattertiere an
„Unhold“ und „Entenmörder“ nennt 1864 Adalbert Graf von Baudissin in einem seiner Sylter Erlebnisberichte den Kojenwärter in Kampen. Anstelle des damals griesgrämigen Vogelfängers, der tausenden Wildenten die Hälse umdrehte und sich täglich selbst bis zu vier Schnattertiere schmecken ließ – „Morgens thue ich eine in die Pfanne, Mittags eine, und Abends verschnabulire ich zwei“ – bewacht heute Olaf Jannsen (30) den zehn Hektar großen Naturschutzpark mit dem Entenfang-Museum.
Dem Federvieh geht es in der Kampener Vogelkoje schon seit 1921 nicht mehr an den Kragen. Zehn Jahre später ist das Areal mit dem gut 3 500 Quadratmeter großen Süßwasserteich unter Naturschutz gestellt worden. „Die Koje ist ein typisches, wertvolles Großbiotop mit urwaldähnlichem Charakter“, sagt Kampens Naturschutzexperte Conrad Hansen (60).
Dem Naturschutzbeauftragten der Sylter Kulturvereinigung Sölring Foriining ist der originalgetreue Wiederaufbau der Vogelkoje als naturkundliches Freilichtmuseum zu verdanken. Eine reiche Fauna und Flora mit alten Krüppeleichen, Königsfarn, mehreren Orchideensorten, verschiedensten Rankgewächsen und bis zu 200 Vogelarten bietet der Naturpark, der größtenteils nur über hölzerne Bohlenwege begehbar ist. Zu besichtigen sind heute die beiden Wärterhäuser sowie ein detailgetreu rekonstruierter Teil der Gesamtanlage, die einst aus vier „Fangpfeifen“ bestand. Das ist ein trichterförmiger Reusengang, in den die Enten – angelockt von flugunfähig gemachten Artgenossen – hineinschwammen.
Monatelang wälzte Hansen die alten Unterlagen, um sich über das Leben und Sterben in der Vogelkoje zu informieren: Seit dem Juli 1767 mußten etwa 14.000 Entenvögel aller Art die Federn lassen, belegen die historischen Kojenbücher. Später wurden drei weitere Fallen auf Sylt gebaut.
Wirtschaftlicher Hintergrund war, daß Sylts Friesen, die im 18./19. Jahrhundert vorwiegend vom Walfang lebten, in der Herbst- und Winterzeit zusätzliche Vorräte brauchten. Diese lieferten den dazu fangberechtigten Genossenschaften die Wildenten, die außer dem Fleisch im Verkauf auch gutes Geld einbrachten. Auch wurde das Entenfleisch sauer eingelegt oder eingesalzen konserviert. Und die Federn waren begehrt als Füllung für Bettzeug. Friedhelm Caspari
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