piwik no script img

ABM für gelangweilte Stachelschweine

Apfelsinen im Eisblock, Hirsekörner unter Steinen: Mit Beschäftigungstherapie versuchen die Pfleger im Tierpark Hagenbeck, ihre Insassen bei Laune zu halten  ■ Von Christine Holch (Text) und Margret Termathe (Fotos)

Jede Nacht unterwühlen die Stachelschweine ihr Gehege. Jeden Morgen schüttet der Tierpfleger die Gänge wieder zu – nicht ohne eine Möhre mit einzugraben. „Das ist ABM für mich und für die.“ Beschäftigungstherapie für Zootiere (behavioural enrichment) ist neuerdings eine der Hauptaufgaben für die Pfleger im Tierpark Hagenbeck. Die Tiere sollen auch in Gefangenschaft möglichst viele natürliche Verhaltensweisen ausleben können. Im Zoo gibt es keinen Feind, und die Nahrung wird serviert. Was sollen die Tiere in der restlichen Zeit tun?

Hin und her geht der Bär. Hin und her, immer am Graben entlang, von einer Betonwand zur anderen. Hat ihn die Gefangenschaft im Zoo geschädigt? „Nein“, sagt Hagenbecks Tierarzt Michael Flügger entschieden, „jedes Raubtier läuft den Rand seines Reviers ab, das ist normal, und ein Bär wandert sowieso den ganzen Tag und sucht Nahrung.“ Krankhafte Wiederholungsbewegungen zeige bei Hagenbeck nur eine Elefantenkuh: „Sie webt.“ Sie wiegt sich ohne Unterlaß von einem Bein aufs andere und läßt sich darin auch nicht durch Ablenkung unterbrechen. „Die war beim Zirkus, da hat sie wohl einen abgekriegt.“

Damit die Bären in ihrer relativ kleinen Anlage nicht dem Stumpfsinn verfallen, setzen die Pfleger gelegentlich Karpfen im Wasserbecken aus – allerdings stellen sich die Bären da „ziemlich dusselig“ an. Es sind eben schon zwei sehr alte ehemalige Zirkusbären. Ein sicherer Muntermacher aber sind die sogenannten „Eisbomben“, die die Bären lange bearbeiten müssen, um an die eingefrorenen Apfelsinen und Fleischstücke zu kommen. Oder die Tierpfleger schmieren eine Handvoll Honig an die Wand und verstecken kleine Leckereien in Felslöchern. Je mühseliger die Nahrungsaufnahme, um so besser.

Schwer zu beschäftigen allerdings sind Zebras, Bisons oder Giraffen, also Huftiere. Auf ihrem platten, prärieartigen Gelände läßt sich das Futter auch nicht verstecken. „Und ich kann ja nicht einen Löwen durchs Zebragehege laufen lassen“, seufzt Tierarzt Flügger. Um die Axishirsche ein bißchen in Aufregung zu versetzen, hat man ihnen Raubtierkot ins Gehege gelegt. „Aber darauf haben die gar nicht reagiert, wahrscheinlich haben sie nur noch optisch die Feindvermeidung drin – es sind ja alles im Zoo geborene Tiere.“

Einfacher und zugleich teurer war es, der Mandrill-Horde Beschäftigung zu verschaffen: Die Affen drücken sich nicht in einer gekachelten Anlage in die Ecken, sondern leben in einem großen Außengehege, das den afrikanischen Regenwald wenigstens in Details nachbilden soll: mit Naturboden, Tümpeln, Büschen, Felsenverstecken, Baumstämmen und jeder Menge losen Steinen. „Da können sie druntergucken“, sagt Tierarzt Flügger, „eigentlich sind sie ja Pflanzenfresser, aber Kleinkram wird immer gern mitgenommen.“

Noch in den 60er Jahren mühten sich die Zoos, die Affen überhaupt am Leben zu erhalten. Ohne desinfizierbare Kachelböden und Freßschalen ging das nicht. Heute gibt es viel bessere Parasitenmittel. Also muß das Futter nicht mehr in einem keimfreien Napf gereicht werden, der in 20 Minuten leergefressen ist. Heute werfen die Tierpfleger eine Handvoll Mais über die Steinhaufen, und die Mandrills sind Stunden damit beschäftigt, die Körner aus den Ritzen zu pulen. „Und sie wissen nie, wann sie alle gefunden haben“, sagt Flügger und grinst.

„Über die Ausgestaltung der Gehege und die Beschäftigung der Tiere läßt sich bei Hagenbeck nicht meckern“, räumt der Biologiestudent Michael Schleef von der Zoo-AG der Universität Bielefeld ein, die bereits zahlreiche deutsche Zoos unter die Lupe genommen hat. „Aber viele Gehege entsprechen von der Größe her nicht mehr den modernen Anforderungen an die Tierhaltung.“

1907, bei der Eröffnung, hatte der Tierpark die Nase vorn: Erstmals in Europa lebten Löwen in gitterlosen Gehegen mit Felsen und Grasland und Mähnenschafe in Gebirgsanlagen. Flamingos staksten nicht in einer gekachelten Pfütze herum, sondern in einem großen Teich mit Schlammboden, aus dem sie ihre hügelartigen Nester bauen konnten. „Die historischen Verdienste in allen Ehren“, meint Michael Schleef, „aber in den letzten Jahren hat sich nicht viel getan, mal abgesehen von der Mandrill-Anlage und dem tatsächlich vorbildlichen Außengehege für die Elefanten. Das Orang-Utan-Gebäude aber ist für die relativ große Herde viel zu klein.“

Mit dieser Kritik rennt er bei Geschäftsführer Joachim Weinlig-Hagenbeck offene Türen ein. „Die Pläne für ein neues Menschenaffenhaus sind längst fertig.“ Er will ein großes Gehege bauen mit auffahrbarem Dach, echten Bäumen und Wasserfall. Allein es fehlen die zehn Millionen Mark dafür. Der Privatzoo bekommt keine Subventionen. Früher verkaufte Hagenbeck immer wieder Grundstücke aus Familienbesitz, um in neue Gehege investieren zu können, doch viel ist davon nicht mehr übrig. Und der Verkauf eines Grundstücks an die Endo-Klinik, mit dem man zum Beispiel das Orang-Utan-Gehege finanzieren will, kommt nicht recht voran.

Ganz oben auf der Wunschliste steht allerdings eine neue Unterkunft für die Leoparden, die gerade Nachwuchs haben. Das mit Ästen vollgestopfte wohnzimmergroße Gehege ist zu klein und noch dazu gut einsehbar, was Leoparden gar nicht mögen. Schließlich sind sie Waldtiere und lieben die Deckung. Kosten: eine Million Mark. Deshalb bittet der Zoo nun erstmals die Öffentlichkeit um Geldspenden. Dafür wurde im Mai die Stiftung Tierpark Hagenbeck gegründet.

Joachim Weinlig-Hagenbeck äußert sich nur zurückhaltend über die Geldnöte des Zoos. Aber geradezu wütend wird er, wenn er über den Hannoveraner Zoo spricht, der gerade für die Expo aufgepeppt wird. „Das ist grotesk, 150 Millionen Mark in einen so engen Zoo zu stecken. Die sind halb so groß wie wir.“ Auch die studentische Zoo-AG aus Bielefeld kritisiert den Hannoveraner Zoo: „Der wird stark auf einen Freizeitpark, eine Schau hin ausgebaut – was für die Tiere dabei rauskommt, ist zum Teil schlechter als vorher. Die haben zum Beispiel eine teure Benebelungsanlage gebaut, um Gorillas im Nebel zeigen zu können wie in dem berühmten Film. Aber erst jetzt, nach zwei Jahren, haben sie den ersten vernünftigen Baumstumpf in die Wiese gesetzt.“

Was ohne viel Geld getan werden kann, hat Hagenbeck versucht zu tun. „Wir sind sehr viel empfindlicher gegenüber Kritik als andere Zoos“, sagt Weinlig-Hagenbeck, „wir sind schließlich von den Eintrittsgeldern abhängig. Wir erfüllen alle Anforderungen, die der deutsche Tierschutzbund stellt.“

So werden Tiere nicht einzeln, sondern in Familiengruppen gehalten. Während beispielsweise Aras andernorts oft noch in Zweierpärchen leben und trüb auf ihrer Stange hocken, sind bei Hagenbeck seit vergangenem Jahr sechzehn dieser Schwarmvögel in einer großen Voliere zusammen. Dort können sie auch richtige Runden fliegen. „Und die ersten sind schon am Brüten“, sagt der Tierarzt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen