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Zwischen Entdeckungen und Eso-Kitsch

■ Schubert, Schumann und Co.: Drei neuere CDs der Kammerphilharmonie im Hörtest

Die Musik zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ ist so bekannt, daß noch der größte Klassikmuffel mindestens den „Hochzeitsmarsch“ kennen dürfte. Die Ouvertüre ist eins der genialen Werke des siebzehnjährigen Felix Mendelssohn Bartholdy. Die Bläsersolisten der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen lassen uns auf einer von drei neueren CDs des Orchesters dieses Werk nun einmal in einem anderen Klanggewand hören, und das ist durchaus lustvoll. Der Bearbeiter Andreas N. Tarkman versteht es glänzend, einerseits den Charakter der Musik zu wahren, andererseits völlig überraschende Aspekte aufzumachen. Auch die Bearbeitung des Konzertstückes f-Moll, op. 113 ebenso von Mendelssohn Bartholdy für nunmehr neun Bläser ist gelungen, spielen die InterpretInnen doch homogen, ungemein fein in der Artikulation und umwerfend virtuos.

Zwei Originalwerke auf dieser CD erinnern an die Geschichte der Bläsermusiken, die bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts in der Regel einen unterhaltenden Charakter hatten. Hört man jetzt auf der CD das „Bläseroktett“ von Franz Schubert und „Adagio und Rondo“ für Bläsersextett von Carl Maria von Weber vom Anfang des 19. Jahrhuderts, verwundert es noch heute, warum Blasmusiken erst in dieser Zeit zu einer eigenständigen Gattung wurden. Die inspirierten Wiedergaben der BläsersolistInnen machen Lust auf mehr.

Es ist ja gut, daß der Cellist Steven Isserlis in die Cellomusik von Robert Schumann verliebt ist. Daß er aber für die zweite der neuen CD-Produktionen die Grenze zum esoterischen Kitsch nicht wahrt, ist im Verhältnis zur Qualität dieser CD eher schade. Die Hinzufügung des Offertoriums aus der „Messe“ von 1853 mit dem Cellosolo und nachfolgendem, dreiminütigem „Silent“-Track wirkt eher peinlich. Trotzdem überzeugt die CD einmal wegen der interpretatorischen Qualität, zum anderen, weil hier alle Werke für Cello von Schumann geschlossen vorliegen. Schumann haßte das „Virtuosische“, und es ist hervorragend sensibel und klangschön, wie Isserlis sich vollkommen in den Orchesterpart einklinkt und alles als eine große Erzählung gestaltet. Die Kammerphilharmonie ist ihm unter der Leitung von Christoph Eschenbach ein guter, wenn auch nicht exzellenter Partner, manches kommt recht routiniert und trocken daher.

Die dritte CD trägt zur Rehabilitation des lang verkannten Frühwerks eines Komponisten bei: Eines der großen Mißverständnisse, das die romantische Aufführungspraxis zu verantworten hat, ist die bagatellisierende Einschätzung der ersten fünf Sinfonien von Franz Schubert. Seit jedoch durch die historische Aufführungspraxis die Streicher-Bläser-Relation ausgewogen ist, seit die Tempi vom Charakter her verstanden werden, kann dieses Vorurteil nicht mehr aufrechterhalten werden. Thomas Hengelbrock dirigiert auf dieser CD Franz Schuberts erste Sinfonie, ein Werk des Sechzehnjährigen: auch hier schon nicht thematische Arbeit, sondern Gänge durch Räume, Farben mit einem wildapotheotischen Finale. Ein überzeugender Beitrag zur Rehabilitation des frühen Schubert. Und gut, daß das Werk mit einer wirklichen Rarität gekoppelt wird: Der einzigen Sinfonie des Tschechen Jan Václav Vorísek, ein explosives Werk, das einen starken Beethoven-Einfluß zeigt. Ute Schalz-Laurenze

Franz Schubert, Jan Václav Vorísek, Sinfonien. Leitung: Thomas Hengelbrock; DHM 05472 773792; 30 Mark

Robert Schumann, sämtliche Werke für Cello. Leitung und Klavier: Christoph Eschenbach; BMG Classic; 30 Mark

Bläsersolisten der Deutschen Kammerphilharmonie: Werke von Mendelssohn Bartholdy u.a.; Berlin Classics 00 11572 BC; 30 Mark

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