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Broken Beats International

Mit einem modischen Pop- und Multikulti-Happening tritt der Bezirk Hellersdorf dem weit verbreiteten Vorurteil entgegen, eine rechtsradikale Hochburg zu sein  ■ Von Daniel Bax

Eines Dudelsacks wegen nach Hellersdorf? Klingt verwegen. Wird aber plausibel, wenn man weiß, daß der Mann hinter dem Instrument Martyn Bennett heißt. Denn Bennett ist die Klubkultur seines Wohnorts Edinburgh genauso vertraut wie die traditionelle Volksmusik der Region, die schottische Folklore so nahe wie moderne Studio-Elektronik. Und so nimmt er das Beste aus beiden Welten, schließt die Heimatklänge aus den Highlands mit dem DJ- Underground kurz, schmeißt die besten Komponenten in den Mix, jagt pfeifend die pentatonische Skala hinauf und stolpernd die Breakbeats hinunter, bis er bei einer Jungle-Folk-Fusion landet, die mit Attributen wie „Dudelsack- TripHop“ oder „Gaelic House“ nur unzureichend beschrieben ist.

Und statt eines Kilts trägt der 25jährige auch noch Rastazöpfchen auf dem Kopf. Weswegen der Jungspund von der englischen Sunday Times als „Future of Folk“ gefeiert wird, von schottischen Traditionalisten dagegen des Posings und des Ausverkaufs bezichtigt wird. Dabei ist Martyn Bennett sogar Absolvent der Royal Scottish Academy of Music and Drama, wo er ganz seriös klassische Geige und Klavier studierte, bevor er sich daran machte, Pub und Club einander näherzubringen. Und zum Neujahrsfest spielte er in Edinburgh schon mal vor 80.000 Menschen, die das offenbar zu schätzen wußten.

Seinen ersten Auftritt in Berlin hat der Grenzgänger nun, ganz stilgerecht, kurz vor der Stadtgrenze, beim zweiten Hellersdorf Open Air, das diesmal ganz im Zeichen sogenannter „Broken Beats – Migranten“ steht. Es ist dies die Folgeveranstaltung zum letztjährigen „Hip Hop Hellersdorf“-Festival, das damals mit namhaften deutsch- und türkischsprachigen Rappern in die Plattenbausiedlung lockte. Sponsor des Events ist die Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf. Ihr unterstehen rund 30.000 Wohnungen in dem Stadtteil an der Peripherie, der als Berlins jüngster Bezirk gilt, was das Gründungsdatum wie auch das Durchschnittsalter der Bewohner angeht. Diesen soll nicht nur mit dem Kulturfest der Sommer am Stadtrand versüßt werden. Auch einen Imagegewinn, der weit über die Bezirksgrenzen hinauswirkt, erhofft man sich. Dem weit verbreiteten Vorurteil, eine rechtsradikale Hochburg zu sein, soll mit einem modischen Multikulti-Happening entgegengewirkt werden.

Neben Martyn Bennett sind die Neo-Hippies von Loop Guru angekündigt, die ihren Club-Sound mit asiatischen und orientalischen Klängen schmücken – Beats International –, sowie, ganz traditionell dagegen, die Gruppe Musafir, Roma aus Rajasthan, mit indischer Musik, Akrobatik und Schlangentanz. „Instrumental“ sind ein Londoner Sextett, das Ambient-Kompositionen im Streicherarrangement präsentiert, mit vorproduzierten Loops und Samples, und zuletzt mit den Drum'n'Bass-Heroen von 4-Hero zusammenarbeitete. Etwas fragwürdig mag es zwar scheinen, wie von den Veranstaltern im Titel angedeutet, solch musikalisches Crossovertum so einfach mit realen Wanderungsbewegungen gleichzusetzen – die folgen bekanntlich meist weniger Trends als ökonomischen oder politischen Zwängen. Aber die zeitgeistige Begriffsbeliebigkeit wird entschuldigt durch ein ausgesuchtes Programm, durch das der beredte Jürgen Kuttner führen wird.

Außerdem aus Berlin werden auch die Rapper von Islamic Force erwartet, in reduzierter Besetzung nach der Trennung von DJ Derezon, dafür verstärkt durch drei Tänzerinnen, sowie „Metropolitan Vision“ mit einer Pyro-Musik-Performance. Da muß eigentlich nur noch das Wetter mitspielen – sonst zündet das Feuerwerk nicht.

Hellersdorf Open Air 1998: Broken Beats – Migranten, Samstag, 14–22 Uhr, Spiel- und Begegnungsort Zossener Straße, Berlin- Hellersdorf.

Anfahrt: U-Bahnhof Hellersdorf, dann Straßenbahn Linie 6 oder 18 bis Zossener Straße, Eintritt frei!

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