: Pril-Blumen, Schweiß und Dosenbier
Der Schlagermove ist der Karneval des Nordens. Alle machen mit, aber für die lange Geschichte der deutschsprachigen Popmusik interessiert sich niemand ■ Von Volker Marquardt
Guildo machte den Horn, und 4000 juvenile Schlagerfans folgten dem Meister trotz gesalzener Eintrittspreise in die Lagerhalle der Astra-Brauerei. Denn der Entertainer und Parodist – das ist ja nichts Neues – ist eine veritable Bühnensau. Nach wenigen Minuten mit angeklatschten Haaren und Schweißtropfen, die sogar vom Ellenbogen tropften, fragte er immer wieder „Könnt ihr noch?“ und meinte damit vor allem sich selbst.
Der Tag war ja auch verdammt lang gewesen. Bereits um 16 Uhr hatte sich der 2. Schlagermove unter dem Motto „Ein bißchen Spaß muß sein“ mit einer Karawane aus 20 LKWs in Bewegung gesetzt. Die meisten waren nur mit ein paar Luftballons und einigen Pril-Blumen geschmückt, andere, wie der des Hafenkrankenhauses, ließen sich etwas mehr einfallen und verlosten von dem mit reichlich Bettpfannen ausstaffierten Wagen ein „Original-Brusttoupet von Guildo Horn für Heimbastler“. Trotz heftiger Regengüsse kamen aber dennoch mehr als 150.000 Schaulustige, um sich mit Dosenbier und ollen Kamellen die Kante zu geben.
Höhepunkt dieses Karnevals des Nordens war jedoch der Auftritt von Guildo. „Hier sind die Orthopädischen Strümpfe und eine Frau im schwarzen Samtkostüm“, stellt er sich mit einer Selbstironie vor, die im Lärm unterzugehen drohte. Der wahre Horn weiß im Gegensatz zu den meisten Schlagerparodisten, wie man ein Publikum im Sturm nimmt. Wer sonst kann schon für einige Minuten von der Bühne verschwinden, während im Publikum unverdrossen „Guildo war in Birmingham“ aus vollen Kehlen gesungen wird? So ging die offizielle After-Move-Party mit „Auf wiederriechen“ standesgemäß zu Ende. Nicht frei von Ironie war dabei auch die Tatsache, daß ausgerechnet in einer Brauerei das Bier gegen Ende ausging. Wenn auch nur im Backstage-Bereich.
Weit weniger Zuspruch fand dagegen Günter Discher, der älteste DJ der Welt, auf der Cap San Diego. Nachdem nur 100 zahlende Gäste diesen Grandseigneur des 30er-Jahre-Schlagers sehen wollten, schloß der Pächter zum Unwillen der Veranstalter kurzerhand die Pforten. Wieder mal zeigte sich, daß viele der spätberufenen Schlagerfans kein historisches Bewußtsein besitzen für die Geschichte des deutschen Schlagers – von der Wiener Operette über Marlene Dietrich zu den Capri-Fischern und anderer Italien-Propaganda der Wirtschaftswunder-Ära.
Statt dessen sollten immer schön bunt und trashig die 70er – oder vielmehr ein deutsches Destillat davon – hochleben. Wie in der Großen Freiheit, wo fünf Bands um den ersten offiziellen „Schlagermove-Hossi“ antraten. Nach dem Urteil von Jury und Publikum wurde das begehrte Sonnenblumenmännchen in Gold zu später Stunde vom Move-Mitorganisator Thomas Voigt an Markus und die Sahnehäubchen verliehen. Die Unermüdlichen sangen auch daraufhin noch munter und bestimmt zum zehnten Mal „Fiesta Mexicana“, aber auch „So schmeckt der Sommer“ aus der TV-Werbung lauthals mit. Und daß, obwohl sie ja einen langen Tag hinter sich hatten. Klar, daß sie Guildo liebhatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen