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Friede, Freude, Koalition

Krise beendet: Rot-Grün einigt sich auf Kompromiß zum Volksentscheid. GAL-Mitglieder segnen's ab. „Mehr Demokratie“ empört  ■ Von Silke Mertins

„Es ist ein großer Schritt nach vorn“, schwärmte gestern GAL-Verfassungsexperte Martin Schmidt über den zwischen Rot und Grün ausgehandelten Kompromiß zur Volksgesetzgebung. Die Zweite Bürgermeisterin Krista Sager hält den jetzigen Plan der Koalitionäre sogar für „besser als das, was wir der SPD vorgeschlagen haben und von ihr abgelehnt wurde“. Und deshalb warben die grünen Mitglieder des Koalitionsausschusses auf der gestrigen Landesmitgliederversammlung um Zustimmung für die Einigung.

Vorausgegangen waren am Samstag sechs Stunden Verhandlung und fünf Auszeiten – davon vier von der SPD beantragt – im erstmalig einberufenen Koalitionsausschuß, um einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden. Am Ende war aus dem Sitzungssaal im Senatsgehege erleichtertes Lachen zu hören. Die beiden Regierungsparteien einigten sich unter Leitung von Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) und der Zweiten Bürgermeisterin Krista Sager (GAL) auf ein „Kombi-Modell“, um künftig den Willen des Volkes zu ermitteln. Nach jetziger Gesetzeslage müssen 25 Prozent der Wahlberechtigten einem Gesetzesantrag zustimmen. In Bälde soll es reichen, wenn ein Drittel der Bevölkerung am Volksentscheid teilnimmt. Die sich daraus ergebende Mehrheit gilt. Gehen weniger Leute zur Abstimmung, reichen auch 20 Prozent Ja-Stimmen. So würde verhindert, frohlockt die GAL, daß die Gegner eines Gesetzesvorschlags das Vorhaben durch Boykottaufrufe kippen. Für Verfassungsänderungen gilt dasselbe Prinzip mit höheren Hürden: Zweidrittel-Beteiligung oder 40 Prozent Ja-Stimmen. Außerdem sollen Verfassungsänderungen mit wichtigen Wahlen zusammengelegt werden.

„Mit diesem Kompromiß wird den Interessenlagen beider Parteien Rechnung getragen“, war auch SPD-Parteichef Jörg Kuhbier sichtlich zufrieden. Man habe „gemeinsame Kreativität“ gezeigt. Ob die Lösung jenseits der politischen Führung genauso gutgelaunt aufgenommen wird, wußte Kuhbier noch nicht zu sagen. In der SPD sei wohl „noch Überzeugungsarbeit zu leisten“. Fraktion und Parteivorstand befassen sich heute mit dem Thema.

Die GAL ließ sich die Einigung mit der SPD schon gestern auf der Mitgliederversammlung absegnen. Mit einer überwältigenden Mehrheit und nur sechs Nein-Stimmen wurde der Kompromiß angenommen. „Die GAL hat die Zähne gezeigt“, lobte überraschend der grüne Linksaußen und Koalitionskritiker Andreas Bachmann. Inhaltlich sei er zufrieden, weil es tatsächlich eine Schwäche der GAL gewesen sei, sich über die Hürden nicht genug Gedanken gemacht zu haben.

Einzig die Vertreter der Initiative „Mehr Demokratie“, die die Mindestanforderungen abschaffen wollen, verdammten den Kompromiß. Von der GAL fühle er sich „verraten und verkauft“, schimpfte Sprecher Marcus Hiller. Gerade mal fünf Prozent hätten die Grünen der SPD abgerungen. „Das ist nicht berühmt.“ Aber, so Hiller, „Mehr Demokratie“ sei auf die GAL nicht angewiesen. „Wir gewinnen sowieso – auch ohne euch.“

Siehe weiteren Bericht auf Seite 6 und Kommentar auf Seite 1

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