Müde, aber nicht erschöpft

Gesichter der Großstadt: Aus Freude an Streß und Geschwindigkeit plant der 26jährige Marc Wohlrabe stets neue Projekte für den Medienkonzern, den er von seinem Vater erbte  ■ Von Holger Wicht

Immer in Bewegung. Von einer Ecke der Fabriketage in die andere. Telefonieren am Schreibtisch, eine blühende Landschaft, telefonieren im Konferenzraum, telefonieren zwischendurch per Handy. Niemals Alkohol, keine Zigaretten, kein Kaffee. Dafür Süßes, Unmengen Schokolade als Nervennahrung. Marc Wohlrabe, 26 Jahre, leitet einen kleinen Medienkonzern: den etablierten „Jugendfilm“-Verleih, geerbt vom Vater, die „zeitbank medien und verlag GmbH“, Herausgeber des erfolgreichen Szene-Magazins Flyer, und „Brainbox“, eine Agentur für mediale Dienstleistungen.

Streß total: Am 26. August startet die Messe BerlinBETA, eine ungewöhnliche Mischung aus Konferenz und Festival, die Existenzgründer und Alteingesessene der Medien- und Unterhaltungsbranche zum Austausch von Wissen und Ideen zusammenbringen soll. Wohlrabes „Brainbox“ organisiert BerlinBETA gemeinsam mit seinem Hamburger Partner Stephan Balzer und mit Ralf Plaschke, dem stellvertretenden Geschäftsführer der Firma MusicKomm, die für die Kölner Musikmesse Popkomm verantwortlich zeichnet. Jetzt laufen die Telefone heißer denn je: Referenten sagen zu oder ab, Journalisten wollen Auskünfte und Interviewtermine. Der Jungunternehmer ist müde, aber nicht erschöpft: „Ich habe Freude am Streß, an der Geschwindigkeit. Und ich liebe Herausforderungen, so nach dem Motto: How much can you take?“

Der Flyer sagt viel über ihn. Ein typisches Wohlrabe-Produkt: Am Anfang stand kein Reißbrett, sondern sein Nachtleben in der jungen Techno-Szene: „Ich war damals ein wandelndes Club-Verzeichnis, ein menschlicher Terminkalender, weil ich ständig ausging.“ Unterwegs traf er auch Partner Helge Birkelbach, der ihn vom Flyer- Konzept überzeugte: Ein DIN- A6-Heftchen, das sich mit ständig wechselnden Logos als Szene- Guide etablieren sollte: Das widersprach zwar allen Regeln der Werbebranche, doch Wohlrabe war überzeugt vom Stadtmagazin im Hosentaschenformat. Für ihn war klar: Das Ding wird gemacht. So arbeitet der Jungunternehmer bis heute: „Du verbürgst dich für deinen eigenen Erfolg und gehst ins Risiko.“

Nun also BerlinBETA, „eine ganz neuartige Sache, wie damals der Flyer“, entstanden nach dem gleichen Prinzip: eine Idee, überzeugende Partner – los geht's. In nur sieben Monaten Vorbereitungszeit entstanden die Konferenz, ein Filmfest für unabhängige Produktionen und die „BerlinBETA-Jugendfestspiele '98 – In the mix“, die ein „fröhliches Durcheinander“ aus Lichtkünstlern, DJs, Filmemachern und Performancegruppen abgeben sollen. Das Programm: „Die besten Parties geschehen, wenn unterschiedliche Styles aufeinandertreffen!“

Aufeinandertreffen, Austausch. Kommunikation ist die Konstante im unsteten Leben Marc Wohlrabes. In zahllosen Gesprächen kommt er zu neuen Ideen, die Meinungen anderer sind sein Sicherheitsnetz, wenn er mit Hochgeschwindigkeit auf Drahtseilen unterwegs ist. „Mir wird oft vorgeworfen, daß es mir an Selbstreflexion mangele“, bekennt er freimütig, „in Gesprächen werde ich dazu gezwungen“. Deswegen mag er Interviews. Viel Zeit hat er nicht, natürlich, doch sein Interesse am Gespräch erscheint echt.

Er wippt nervös auf dem Stuhl, etwa 120 bpm, doch seine sanften braunen Augen suchen den Blick des Gegenübers, er kann zuhören und fragt nach. Und obwohl er bekannt für gelegentliche cholerische Anfälle ist, wünscht er sich „starke, intelligente Mitarbeiter, mit denen sich auch streiten läßt“. Nur müsse Streit eben immer der Sache geschuldet sein, nicht dem Wunsch sich zu produzieren, nicht dem eigenen „Ego-Bild“.

Was treibt ihn an? Ihn, der geradezu besessen von Erfolg zu Neuanfang zu Erfolg zu eilen scheint? Er scheint es selbst nicht so genau zu wissen: „Ich bin neugierig und will viel erleben, Menschen kennenlernen.“ Ein Denker ist er nicht, viel mehr ein impulsiver Macher, „nicht kopflastig, sondern spontan.“ Geschäftlicher Erfolg? „Das ist zweitrangig, ein Muß aufgrund von Wirtschaftlichkeit. Oder, wie mein Vater immer sagte: Ideen scheitern an der Kasse.“

Der Vater. Jürgen Wohlrabe, der viel geschmähte CDU-Mann, ein cholerischer Polterer, den Herbert Wehner einst im Bundestag als „Übelkrähe aus Berlin“ beschimpfte. Sohn Marc hingegen erinnert sich liebevoll an seinen Vater: „Er war leidenschaftlich und mochte klare Worte. Von ihm habe ich gelernt, mit Beharrlichkeit ans Ziel zu kommen.“ Jahre und Jahrzehnte könne es eben dauern, bis man mit einer ungewöhnlichen Idee erfolgreich werde. Vater Wohlrabe hat ihm ein Beispiel gegeben, indem er den „Jugendfilm“-Verleih groß gemacht hat. Gegründet vor über 60 Jahren vom Urgroßvater des Juniors, avancierte die Firma vom Kinderfilmspezialisten zum etablierten Mainstream-Anbieter. Als der Vater vor drei Jahren einem Hirntumor erlag, übernahm der Filius nach einer Ausbildung zum Verlagskaufmann bei Springer die Firma, setzte aber einen Geschäftsführer ein. „Von dem lerne ich viel“, erklärt er und ist schon beim nächsten Thema: Nach dem Filmverleih interessiere ihn nun auch Filmproduktion. Und auch Musik würde er gerne selber machen: „Ich habe ständig Töne im Kopf“, sagt er mit leuchtenden Augen und meint nicht den Tinitus, den ihm seine ausschweifende Techno-Vergangenheit eingebracht hat.