piwik no script img

"Keine Alternativen geprüft"

■ Bernd Köppl, gesundheitspolitischer Sprecher der Bündnisgrünen, kritisiert das Klinik-Spargutachten: Das habe lediglich die Vorgaben der Krankenkassen durchgerechnet

taz: Herr Köppl, zu Ihnen ist die Langfassung des Klinik-Spargutachtens durchgesickert. Wie werden die vorgeschlagenen Schließungen der Häuser darin im einzelnen begründet?

Bernd Köppl: Auch in der Langfassung gibt es keine Begründungen. Der Gutachter hat sich in keiner Weise mit den spezifischen Versorgungsangeboten der jeweiligen Häuser, ihrer Einbindung in den Versorgungsbezirk oder ihrer Kosteneffizienz beschäftigt. Die Empfehlungen sind das rechnerische Ergebnis einer Vorgabe der Krankenkassen. Für sie sind Standortschließungen wirtschaftlich günstiger als ein Abbau in der bestehenden Struktur. Auf dieser Grundlage ist die Schließung der sieben Krankenhäuser logisch. Alternativen wurden jedoch nicht geprüft. Wenn man aber Krankenhausplanung auch als soziale Verantwortung sieht, dann ist dieser rein neoliberalistische Vorschlag, der wichtige soziale Verknüpfungen ignoriert, nicht akzeptabel.

Wie beurteilen Sie den Privatisierungsvorschlag der Gutachter?

Der Privatisierungsvorschlag versucht, mit einem kompletten Schnitt die Krankenkassen zu entlasten und sämtliche soziale Folgewirkungen, die durch den Abbau von 6.000 bis 7.000 Stellen entstehen, auf die öffentliche Hand zu übertragen. Damit ziehen sich die Kassen aus ihrer sozialen Verantwortung zurück. Das geht nicht.

Lehnen Sie Privatisierungen grundsätzlich ab?

Nein. Wir haben bislang Trägerwechsel unterstützt, wenn es von der bezirklichen Situation akzeptabel war und die Beschäftigten bereit waren, diesen Weg mitzugehen. Aber eine komplette Eliminierung des öffentlich-rechtlichen Sektors halte ich für fatal. Hintergrund ist, daß besonders CDU und FDP auf Bundesebene sehr viel stärker marktwirtschaftliche Elemente in die Krankenhausversorgung aufnehmen wollen. Das geht natürlich leichter mit privaten Trägern, die untereinander konkurrieren. Ich vermute, daß der Gutachter diesen Kurs unterstützt.

Warum müssen städtische Krankenhäuser sein?

Bei städtischer Trägerschaft hat die Kommune einen viel größeren Einfluß auf die Versorgungsstruktur eines Krankenhauses. Ein privater Träger kann sich viel stärker davon abkoppeln, was die Bevölkerung braucht, und sich danach richten, was für ihn rentabel ist. Wenn dann auch die ganze Krankenhausfinanzierung, wie es zur Zeit der Fall ist, in diese Richtung geht, dann bleiben – platt gesagt – am Schluß hochleistungsfähige Krankhäuser in reichen Gebieten und wenige verarmte Kliniken in den sozial schwachen Gebieten. Die soziale Ausgrenzung ganzer Stadtbereiche wird damit verstärkt.

Viele gesundheitspolitische Fachleute in der Stadt teilen die Zielvorgaben der Gutachter: die Verringerung der Bettenzahl von 27.600 auf 24.000, die Einsparung von einer Milliarde Mark, die Förderung von kleinen und mittelgroßen Kiez-Krankenhäusern mit Regelversorgung. Kann man solche Veränderungen ohne Krankenhausschließungen durchsetzen?

Auch ich teile die Zielvorgaben, die Sie genannt haben. Ob es ganz ohne Schließungen geht, kann ich nicht genau beurteilen. Klar ist aber: Die Schließung von sieben Krankenhäusern ist nicht notwendig. Wichtig ist dabei: Mit seiner Forderung nach einer relativ hohen Mindestgröße von Fachabteilungen ignoriert der Gutachter, daß man auch einzelne Abteilungen zusammenführen kann, damit sie eine wirtschaftliche Größe erreichen. Orthopädie, Chirurgie oder Gynäkologie müssen nicht immer einzeln vorgehalten werden. Man kann sie auch zusammenfassen, wie es zum Beispiel im Urban-Krankenhaus schon geschehen ist. So kann man größere Häuser verkleinern und gleichzeitig Standorte sichern, die benötigt werden. Da ist der Gutachter leider nicht auf der Höhe der Krankenhausreformdiskussion.

In Berlin ist schon viel abgebaut worden, 1991 gab es noch über 40.000 Betten. Dennoch gibt es immer noch eine besonders hohe Bettendichte, viele Standorte, zahlreiche kleine Fachabteilungen. Warum ist das so?

Vor der Wende war Ostberlin für einige Fächer das Versorgungszentrum für die gesamte DDR, West-Berlin hatte ein durch Subventionen hochgebautes stationäres Versorgungssystem. Beides zusammen mußte zurückgebaut werden. Statt ausreichend abzuschmelzen hat der Senat nach Landratsmentalität aber noch zusätzliche Kapazitäten aufgebaut: zum Beispiel das Unfallkrankenhaus Marzahn. Das liegt typischerweise in der höchsten Versorgungsklasse mit sehr hohen Abteilungspflegesätzen. Die Umsteuerung hat viel zu spät stattgefunden, das war ein schwerer Fehler. Diese unsinnige Neubauplanung haben die Krankenkassen nicht kritisiert.

Nachdem nun zumindest ein Exemplar der Langfassung durchgesickert ist: Was muß jetzt passieren?

Ich werde zunächst das Gutachten allen Interessenten, die es benötigen, zur Verfügung stellen, um die Informationsblockade der Krankenkassen zu durchbrechen. Dann müssen alle Beteiligten in einem offenen und demokratischen Prozeß Vorschläge zur Krankenhausplanung entwickeln. Aber eines muß klar sein: Der Rückbau in Richtung von 24.000 Betten und der Verstärkung von Grund- und Regelversorgung zu Lasten der Hochleistungsmedizin muß durchgesetzt werden. Zudem sollten die guten Chancen Berlins für einen Ausbau der überregionalen medizinischen Versorgung genutzt werden. Interview: Sabine am Orde

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen