Jelzin feuert schon wieder einen Premier

■ Mitten in der schweren Finanzkrise Rußlands entließ der Präsident gestern abend überraschend Ministerpräsidnet Kirijenko nach nur fünf Monaten Amtszeit. Vorgänger Tschernomyrdin soll nun wieder die Geschäfte führen.

Berlin (AFP/taz) – Der russische Präsident Boris Jelzin hat gestern abend die Regierung von Ministerpräsident Sergej Kirijenko nach nur fünf Monaten im Amt entlassen. Wie der Kreml in Moskau mitteilte, unterzeichnete Jelzin ein entsprechendes Dekret. Demnach wurde Kirijenkos Vorgänger Viktor Tschernomyrdin geschäftsführend wieder mit dem Amt des Regierungschefs betraut.

Kirijenkos Regierung war nach der De-facto-Abwertung des Rubel am vergangenen Montag verstärkt unter Druck geraten. Vor allem die kommunistischen Abgeordneten des russischen Parlaments, der Duma, hatten seinen Rücktritt verlangt. Dagegen hatte der Vorsitzende des Föderationsrats, Jegor Strojew, den erst 36jährigen Kirijenko noch am Samstag entschieden verteidigt. Es sei der „Gipfel der Unverschämtheit“, Kirijenko für alle Probleme der russischen Wirtschaft verantwortlich zu machen. Strojew betonte, viele der jetzigen Schwierigkeiten seien in Fehlern des früheren Kabinetts unter Viktor Tschernomyrdin und auch der Zentralbank begründet. Jelzin hatte Kirijenko im März dieses Jahres in das Amt des Regierungschefs berufen. Erst nach einer wochenlangen Kraftprobe mit der Duma, dem russischen Parlament, konnte Kirijenko sein Amt antreten.

Das Comeback des 60jährigen Tschernomyrdin kommt für Beobachter nicht überraschend. Vermutet wird, daß der ehemalige Direktor des Energiekonzerns Gasprom seine engen Beziehungen zur Industrie ausnutzte, um das russische Finanzssystem unter Druck zu setzen. Jelzins Schritt folgte nur zwei Tage nach einer Dringlichkeitssitzung des Parlaments, das in einer – allerdings nicht bindenden – Resolution mit überwältigender Mehrheit den Rücktritt Jelzins gefordert hatte.

Heute hatte die Duma ursprünglich über die Antikrisengesetze von Kirijenko beraten wollen. Ohne diese Gesetze könnten bereits vereinbarte Kredit-Milliarden des Internationalen Währungsfonds blockiert werden. Außerdem steht eine wichtige Entscheidung über die Kreditwürdigkeit Rußlands und seine Schuldentilgung an. Die Zentralbank will mitteilen, zu welchen Bedingungen die bis Juli ausgegebenen hochverzinslichen Staatsanleihen (GKO) in längerfristige Papiere umgetauscht werden sollen.

Am Samstag hatte Bundeskanzler Helmut Kohl mit Jelzin über die Finanzkrise telefoniert. Dabei habe der Kanzler die Bemühungen der Moskauer Regierung zur Beilegung der schweren Finanzkrise unterstützt, wie Jelzins Pressedienst mitteilte. Kohl habe sich außerdem zufrieden darüber geäußert, daß Rußland die Rückzahlung seiner Auslandsschulden nach einem 90tägigen Moratorium wiederaufnehmen wolle. Bundesaußenminister Klaus Kinkel hatte Moskau am Wochenende aufgefordert zur Beilegung der Finanzkrise „wirkliche Eigenanstrengungen“ zu unternehmen. Dringend erforderlich seien eine Sanierung des Finanz- und Bankensystems, die Konsolidierung des Staatshaushalts und die Schaffung besserer Rahmenbedingungen für ausländische Investoren. her Siehe auch Seite 2