: Das Ghettoproblem wird größer
■ Die grüne Baupolitikerin Franziska Eichstädt-Bohlig über die zum 1. September auslaufende Mietpreisbegrenzung, die gescheiterte Wohnungspolitik der Regierung und Halbherzigkeiten der SPD
taz: Zum 1. September hat die Bonner Regierungskoalition die Mietpreisbegrenzung von 20 Prozent innerhalb von drei Jahren für bestimmte Altbauwohnungen auslaufen lassen. Haben Bündnisgrüne und SPD geschlafen?
Franziska Eichstädt-Bohlig: Nein. Bündnisgrüne und SPD haben im Bundestag jeweils entsprechende Anträge gestellt. Damit sollte die CDU Farbe bekennen, daß sie einige Monate vor der Wahl kein Interesse hat, die Kappungsregelung zu verlängern. Doch die CDU hat es erfolgreich geschafft, das Thema auf der letzten Parlamentssitzung vor der Sommerpause von der Tagesordnung zu streichen.
Die Wohnungspolitik der Bundesregierung ist im Grunde gescheitert. Es gab weder eine Mietrechtsreform noch eine Reform der Wohnungsbauförderung; selbst die Wohngeld-Neuregelung läßt auf sich warten. Gleichzeitig sind die Mieten doppelt so schnell gestiegen wie die Einkommen. Ist das für die Opposition nicht ein ideales Wahlkampfthema?
Es gelingt kaum, das Thema Wohnen auf die Tagesordnung zu setzen. Die Öffentlichkeit, teilweise die Medien, teilweise aber auch die Bürger, glauben der Werbung der Bundesregierung, daß der Wohnungsmarkt entspannt sei. Der Markt ist aber nur für die entspannt, die sich relativ gute Wohnungen leisten können. Das Wohnungsproblem besteht zur Zeit eher für die, die eine Wohnung haben, als für die, die eine suchen.
Inwiefern?
Ich erlebe immer wieder Mieter, die enorm klagen und nicht mehr wissen, wovon sie ihre Miete bezahlen sollen. Das zentrale Thema ist deshalb das der überteuerten Wohnkosten im Verhältnis zur Entwicklung der Einkommen.
Auch von den Mieterorganisationen wird das nicht thematisiert.
Die Mieterorganisationen sind mit der SPD sehr stark verbunden. Die Sozialdemokraten tun sich deshalb schwer mit dem Thema. Sie wollen es sich einerseits nicht mit der Wohnungswirtschaft verderben – die sind natürlich an weiteren Mietsteigerungen interessiert – und andererseits nicht mit den Mietern.
Der wohnungspolitische Sprecher der SPD, Achim Großmann, hat angekündigt, im Falle eines Regierungswechsels die Kappungsgrenze wieder einzuführen. Hat sich hier einer aus der zweiten Reihe hervorgewagt, oder sieht Schröder das genauso?
Die Aussage von Großmann ist neu. Die SPD hat in ihrem Parteiprogramm zwar erklärt, daß sie die Mieterinteressen gegen weitere Verschlechterungen verteidigen wird. Aber ansonsten gilt bei der SPD die Formel: Alles bleibt, wie es ist. Ich betrachte den Vorstoß von Großmann deshalb auch als Erfolg unseres grünen Werbens und unserer Forderung an die SPD, in dieser Richtung einmal voranzugehen. Schließlich fordern wir schon die gesamte Legislaturperiode über die Halbierung der Kappungsgrenze.
Die Bündnisgrünen fordern eine Kappungsgrenze von 15 Prozent innerhalb von drei Jahren für alle Wohnungen sowie die Abschaffung der Modernisierungsumlage durch die Eigentümer. Gehen die Vorstellungen von Grünen und SPD nicht so weit auseinander, daß es auch bei einer rot-grünen Koalition keine Wende in der Wohnungspoliitk geben wird?
Bei der Kappungsgrenze werden wir wahrscheinlich unsere Forderung nicht durchsetzen. Aber wenn wir die SPD auf zwanzig Prozent für alle Wohnungen bekommen würden, wäre das ein großer Erfolg. Bei der Modernisierung bin ich auch nicht sicher, welcher Kompromiß da letzten Endes herauskommt. Wenn es da gelänge, von elf Prozent Modernisierungsumlage auf sieben oder acht Prozent runterzukommen, wäre das auch ein Erfolg. Ebenso wie etwa für Ostdeutschland die Modernisierungsumlage auf drei Mark den Quadratmeter zu begrenzen.
Das Miethöhegesetz ist nur ein Teil der Wohnungspolitik. Die Grünen fordern immer wieder auch eine nachhaltige Reform des Wohnungswesens insgesamt. Ist die mit der SPD machbar?
Sehr schwierig ist der Teil, der bei uns ganz vorne steht: das Erhalten von preiswerten öffentlichen Wohnungsbeständen.
Warum?
Weil die SPD dem kommunalpolitischen Druck des Verkaufs von Wohnungen überwiegend nachgibt, während wir der Meinung sind, daß dies volkswirtschaftlich zu kurz gegriffen ist und wir gerade diese Bestände dauerhaft halten müssen. Nicht nur um die einkommensschwächeren Haushalte dort unterbringen zu können, sondern auch um langfristig an Sozialhilfe und Wohngeld zu sparen. Je weniger öffentliche Wohnungen die einzelnen Kommunen haben, um so größer wird in den nächsten Jahren das Ghetto- problem werden. Interview: Uwe Rada
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