■ SommerSchule: Den ganzen Tag
In der SommerSchule debattieren LeserInnen die Zukunft von Schule und Hochschule
Schule muß sich ändern. Aber was kann und was muß sie leisten? Zunächst gilt es, die neuen Bedingungen wahrzunehmen, unter denen Kindheit und Jugend stattfinden: Dazu zählen Phänomene wie die zunehmende soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, zerstörte Bindungen, Mediatisierung von Erfahrungen oder die räumliche Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen. Diese Aspekte kindlichen Lebens hat die Schule bisher weitgehend ignoriert.
Populär ist statt dessen, wieder mehr Mathematik zu fordern. Kein Wunder, denn ihr oberstes Ziel besteht in der Vorbereitung auf den Produktionsprozeß. Es ist aber an der Zeit, Schule neu zu denken.
Mehr als Lernen
Einen neuen Menschen soll die Schule nicht erschaffen. Aber sie kann die Kinder und Jugendlichen auf den Umgang mit Risiken vorbereiten. Unterstützt wird sie dabei durch einen breiten gesellschaftlichen Konsens, der in etwa folgende Punkte umfassen könnte: Die Ächtung von Gewalt und die Ausprägung sozialer Konfliktfähigkeit, das Interesse an anderen Menschen, die Forderung nach Empathie- und Solidaritätsfähigkeit und ein positives Verhältnis zur Freizeit. Dabei ließen sich auch die gesellschaftlich-politischen Entscheidungsstrukturen so verändern, daß Kinder und Jugendliche daran besser teilnehmen können.
Wenn Schule dies leisten soll, dann muß sie mehr übernehmen als eine bloß unterrichtende Funktion – das geht kaum in der Halbtagsschule. Eine Schule, die den ganzen Tag einnimmt, kann die Lebenszusammenhänge der Kinder in ihre Arbeit miteinbeziehen. Eine solche Schule würde sich also an der Individualität des Kindes orientieren. Die Schule wäre dann viel besser als bislang in der Lage, stabile Beziehungen zu bieten. Das können aber nicht allein LehrerInnen leisten.
Es wären neue AnsprechpartnerInnen für die Kinder und Jugendlichen gefragt: SozialpädagogInnen und ErzieherInnen, die sich auch um einen verbesserten Kontakt zu den Familien bemühen. Die Schulsozialarbeit erhielte eine weitaus wichtigere Stellung als bisher. Lernen in der Ganztagsschule läßt außerdem zu, daß verschiedene Sichtweisen nebeneinander bestehen können. Nur auf diesem Weg wird ein produktiver Austausch erreicht. Gefördert wird der kreative Umgang mit Wissen auf der Basis selbständigen Tuns. Die Kinder machen ihre eigenen Erfahrungen mit Lerninhalten.
Diese Prinzipien einer Ganztagsschule müßten durch alle Beteiligten ausgestaltet werden, also von Erwachsenen, Lehrern und Kindern gleichermaßen. Sie dürfen aber nicht in eine Verschulung von Kindheit und Jugend münden. Die Kinder brauchen Zeit-Raum-Strukturen, die ihnen das selbständige Erproben sozialer Interaktion möglich machen. Erwachsene dürfen sich nicht überall einmischen. Die Zurückhaltung der PädagogInnen ist gefragt.
Es stellt sich die Frage, ob sich diese Bausteine nicht auch an den Halbtagsschulen verwirklichen ließen. Richtig ist: Viele Grundschulen haben inzwischen Elemente der Reformpädagogik in ihren Unterricht aufgenommen, etwa in Hessen oder in Berlin. Oft bieten sie zusätzlich Aktivitäten am Nachmittag an. Dennoch böte der „Ganztag“ wesentlich bessere Möglichkeiten zur Umsetzung der genannten Ideen.
Natürlich leisten auch Halbtagsschulen eine gute Arbeit. Es kann also nicht um eine verpflichtende Einführung von Ganztagsschulen gehen – das wäre pure Ideologie. Wo aber der Bedarf existiert, sollte auch die Möglichkeit zur Einrichtung bestehen. Schule muß sich den Anforderungen der Sozialisation für die Zivilgesellschaft stellen! Kirsten Tenhafen
Die Autorin ist Referendarin an einer Dortmunder Grundschule. Beiträge zur SommerSchule an: Bildung@taz.de
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