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Die Kunst des Knopfdrucks

Auf Spurensuche: Philippe Dubois hat mit seiner Theorie des „fotografischen Akts“ eine Untersuchung über die Urszene des Mediums aufgestellt. Das Bild ist selbst Abdruck, Spur eines Moments. Erst mit dem Computer verlieren die Bilder ihre Einzigartigkeit  ■ Von Brigitte Werneburg

Das Erscheinen des Buchs stimmt hoffnungsvoll. Immerhin handelt es sich um den ersten Band einer „Schriftenreihe zur Geschichte und Theorie der Fotografie“. Ein Anfang ist also gemacht. Weitere Bände werden der Logik entsprechend erscheinen müssen.

Damit sollte sich das schmale Spektrum theoretischer Schriften zur Fotografie hierzulande geradezu explosionsartig erweitern. Das Verdienst gebührt dem Verlag der Kunst in Dresden, der die Buchreihe publiziert, und Herta Wolf vom Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Lehrstuhl für Fotografie in Essen, die sie initiierte. Denn was, außer Walter Benjamin, Gisèle Freund, Susan Sontag und selbstverständlich Roland Barthes, wäre hier schon zur Hand?

Gewiß, zuletzt orientierte der Literaturwissenschaftler Gerhard Plumpe seine Untersuchung „Der tote Blick. Zum Diskurs der Photographie in der Zeit des Realismus“ erfolgreich an systemtheoretischen Vorgaben. Und auch Bernd Busch war es in seiner „Wahrnehmungsgeschichte der Fotografie“ mit dem Titel „Belichtete Welt“ ein Anliegen, die „Grundzüge des fotografischen Programms“ zu analysieren. Hier fand sich in der Originalausgabe der denkwürdige Satz, daß die Fotografie „technologisch den wahren Abzug der Welt“ erzeuge, welcher „der Wahrheit der Welt ein Ende bereitet“.

Glücklicherweise entfiel dieser Satz, der besser klingt, als er durchdacht ist, in der Taschenbuchausgabe. Wer für den Satz dennoch Sympathie verspürt, sollte unbedingt Philippe Dubois' „Der fotografische Akt“ zu Rate ziehen. Er könnte von seiner Zustimmung mit Hilfe des ersten Bandes der annoncierten Schriftenreihe kuriert werden.

Dubois' „Versuch über ein theoretisches Dispositiv“ – so der Untertitel seines Essays – ist gleichfalls eine Analyse des fotografischen Programms. Es nimmt bei ihm seinen Ausgang vom fotografischen Ereignis schlechthin: dem Drücken des Auslösers. Das Foto ist dann nicht nur klassisches Bild. Es ist, wie Dubois sagt, vor allem das Ergebnis eines Aktes, einer Handlung. Diese Handlung setzt einen technischen Automatismus in Gang, dessen Resultat eine Spur ist, ein Index, wie der amerikanische Zeichentheoretiker Charles Sanders Peirce es formuliert hat, auf den sich Dubois bezieht. So wie Rauchwolken der Index oder das Anzeichen eines Feuers sind, so markiert das Bild des belichteten Films den Lichteinfall auf ein bestimmtes Objekt in der Welt, zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt, an einem ganz bestimmten Punkt im Raum. „Die Fotografie ist noch vor jeder Überlegung über ihr Abbildungsvermögen und noch bevor sie ein Bild ist, das die Umrisse eines Objektes, einer Person oder eines Schaupiels der Welt reproduziert, wesenhaft ein Abdruck, eine Spur, eine Markierung, eine Ablagerung.“ Damit ist das Fotonegativ aber auch ein Unikat, ein singuläres Bild, das erst im positiven Abzug die berühmte Qualität der technischen Reproduzierbarkeit erlangt.

Die Fotografie ist also nicht einfacher Spiegel des Wirklichen, und auch die Denunziation und Dekonstruktion ihres so realitätsnahen Abbildungsprinzips – wobei die Fotografie als Transformation des Wirklichen betrachtet wird – hilft hinsichtlich ihrer Besonderheit nicht weiter. Es ließe sich noch anfügen, daß die bei ihr zu beobachtenden Effekte der Ähnlichkeit, also der Ikonizität, ihr Triumph und ihre Tragödie zugleich sind.

Ein Beispiel mag das erläutern: Vor rund zehn Jahren organisierte Alain d'Hoogue eine Ausstellung mit dreißig Fotografien aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs, die mit Kennummern sowie Zeit- und Ortsangaben und anderen Informationen aus dem Iran- Irak-Krieg versehen waren. Dementsprechend vermeinten die Besucher der Ausstellung Bilder aus jenem Krieg zu sehen – bis sie am Ende des Rundgangs über die Inszenierung aufgeklärt wurden. Freilich kann ein solcher Kalauer nur dann gelingen, wenn die Ähnlichkeit, die Ikonizität der Fotografie über ihre Indexikalität gestellt wird. Denn unbestreitbar stammten die Fotografien aus dem Ersten Weltkrieg, selbst wenn die neueren Schlachtfelder aussahen wie die alten. Daß Spuren zu lesen ein schwierige Sache ist, ist eben auch unbestreitbar.

Doch zurück zu Dubois. Solcherart Probleme interessieren ihn nur am Rande. Tatsächlich ist es sein Untersuchungsgang zur Funktion und Stellung des Indexes in der Geschichte der Kunst, der seinen Essay so ausgesprochen spannend macht. Der Übergang von der Kategorie des Ikons zur Kategorie des Indexes in den künstlerischen Formen des Readymade, der Earth Art, der Performance, der Körperabdrücke eines Yves Klein etwa oder der Installation, stellt nach Dubois das Kennzeichen der Moderne dar. Doch er schaut noch genauer hin und stellt fest, daß „die Malerei als theoretisches Dispositiv bereits uranfänglich, in ihrer ursprünglichen Phase, mindestens ebenso sehr und vielleicht sogar noch mehr von der Frage des Indexes umgetrieben wurde... als von der Frage der Ähnlichkeit“. Anhand berühmter Texte zum „Ursprung“ der Malerei wird deutlich, daß der Abdruck und Umriß, etwa der Handabdruck in der Höhlenmalerei in Lascaux, die Pause, Schablone und vor allem der Schatten, etwa bei Plinius oder Vasari, konstituierender Bestandteil des Gründungsmythos der Malerei sind. Repräsentation durch illusionistische Analogie erscheint dann in der Geschichte der Kunst als eine Zwischenphase, die mit der Renaissance und der perspektivischen Konstruktion begann und mit der Erfindung der Fotografie endete.

Es könnte allerdings sein, daß die analoge Repräsentation durch die elektronisch generierten Bilder des Computers zwangsläufig eine neue Blüte erfährt. Die radikale Singularität, die das Foto als Spur charakterisiert, ist beim Bild, das durch Algorithmen generiert wurde, nicht gegeben. Es ist also ein besonderes Verdienst von Dubois' Fototheorie, daß er die grundlegende Trennungslinie zu nachfotografischen Bildgebungsverfahren verdeutlichen kann. Marginale Einwände ließen sich gegen seine allzu intensive Bezugnahme auf den Künstler-Fotografen Denis Roche erheben, und auch der „psychoanalytic turn“ im Kapitel der Spiegelmythologien liefert eher historischen Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Entstehungszeit des Textes in den achtziger Jahren als in bezug auf die Indexfrage. Sonst ist Dubois' fotografischer Akt aber ein ausgesprochen anregender, gut geschriebener, kenntnis- und ideenreicher Essay.

Philippe Dubois: „Der fotografische Akt: Versuch über ein theoretisches Dispositiv“. Hrsg. von Herta Wolf. Verlag der Kunst, Amsterdam und Dresden 1998, 224 Seiten, 50 Abb., 44DM

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