US-Agenten plaudern über Sudan

■ Der Weltsicherheitsrat vertagt die Entscheidung über die Entsendung einer Untersuchungskommission zu der bombardierten Fabrik. Washington ist dagegen

Berlin (taz) – Glaubt man einem namenlosen US-Geheimdienstler, dann war der Sudan bis vor einer Woche nur „einen Schritt davon entfernt“, das tödliche Nervengas VX herzustellen. Mit diesen Worten zitierte der US-Nachrichtensender CNN gestern einen Mitarbeiter der CIA, allerdings anonym. Laut CNN seien bei bereits vor Monaten in geheim entnommenen Bodenproben aus der am vergangenen Donnerstag bombardierten angeblichen Pharmafabrik Schifa Spuren der Chemikalie EMPTA gefunden worden, ein Vorprodukt für VX. „Wenn Sie das haben, ist es sehr einfach, VX herzustellen“, zitiert CNN den Geheimdienstler.

Am Montag hatte die Los Angeles Times einen – ebenfalls anonym auftretenden – Agenten mit ähnlichen Äußerungen wiedergegeben: Für den im Sudan gefundenen Stoff gebe es „keine bekannte kommerzielle Verwendung. In der Natur tritt er nicht auf. Und er ist auch kein Nebenprodukt eines anderen Prozesses. Wenn Sie ihn haben, sind Sie auf dem besten Wege zur Herstellung von VX.“

CNN bringt die Fabrik im Sudan mit irakischen Massenvernichtungsmitteln in Verbindung. Der als „Vater des irakischen Chemiewaffenprogrammes“ berüchtigte Imad al-Ani sei auch in dem Komplex am Rande von Khartum aktiv gewesen, so der Sender unter Berufung auf die US-Regierung.

In welcher Verbindung Ussama Bin Laden zu der Fabrik steht, erklärten bisher freilich weder die US-Regierung noch Geheimdienstler. Der in Afghanistan untergetauchte Saudi gilt als das eigentliche Hauptziel der US-Angriffe. Am Montag hieß es dazu von der US-Justiz, der Islamist sei bereits vor einigen Wochen vor einem Bezirksgericht in Manhatten angeklagt worden. Der Vorwurf laute auf Anstiftung zum Mord. Die Anklageschrift sei von einer Grand Jury verfaßt worden. Diese sei vor über einem Jahr zusammengetreten, nachdem Bin Laden öffentlich zu Gewalttaten gegen US-Bürger aufgerufen habe.

Unterdessen streuen US-Diplomaten Informationen über angebliche weitere Schandtaten des Islamisten. So erklärte der stellvertretende US-Botschafter bei der UNO, Peter Burleigh, am Montag gegenüber dem UN-Sicherheitsrat, Bin Laden sei in insgesamt 18 Attentate weltweit verstrickt. Dazu zähle der Anschlag auf Papst Johannes Paul II. 1981, der versuchte Anschlag gegen Ägyptens Präsidenten Husni Mubarak 1995, der Anschlag auf das New Yorker World Trade Center 1993, Angriffe auf US-Soldaten in Somalia 1993 und die Ermordung von 62 Touristen im ägyptischen Luxor im vergangenen Jahr. Beweise für seine Behauptungen blieb Burleigh allerdings schuldig.

Burleighs Ausführungen sollten die Ablehnung der USA im Sicherheitsrat untermauern, eine unabhängige Untersuchungskommission in den Sudan zu entsenden. Dies wird von der Regierung in Khartum gefordert, um festzustellen, ob in der Shifa-Fabrik wirklich chemische Kampfstoffe hergestellt wurden. Dagegen äußerte der Vertreter Chinas, Shen Guofang, Verständnis für die Haltung des Sudan und forderte von den USA stichhaltige Beweise. Angesichts dieser Uneinigkeit vertagte der Sicherheitsrat eine Entscheidung. Begründung: Eine Sitzung hinter verschlossenen Türen habe ergeben, daß die Zeit für eine Entscheidung noch nicht reif sei. Thomas Dreger