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Bonner Pioniere

■ Wie eine Minderheit von Bundestagsabgeordneten schon heute versucht, mit eigenen Homepages das Internet für ihre Politik zu nutzen

Im Internet kämpft Guido Westerwelle nicht gegen die Fünfprozenthürde. Hier ist er ganz vorn. Schon seit dem 15. Mai klebt der Generalsekretär der FDP in seinem Bonner Wahlkreis Plakate, auf denen die Adresse „www .guido-westerwelle.de“ fett gedruckt ist. Der Server schickt die Anfragen allerdings sofort zur Adresse der Liberalen (www.libe rale.de) weiter. Aber dort strahlt Westerwelles Porträt ja auch in voller multimedialer Größe. „Mit dem Internet erreichen wir Bürger, die mit wenig Zeit auskommen müssen“, hat Westerwelle herausgefunden. E-Mails und Online-Chats, sagt er, seien eine moderne Form direkter Demokratie, die sehr gut bei den Bürgern ankomme, was sich daran zeige, daß die liberalen Seiten pro Woche 250.000 Zugriffe verzeichneten.

Textwüsten in Schwarz, Rot und Gold

Ganz neu im Netz ist dagegen der CDU-Abgeordnete Karl-Josef Laumann (www.laumann-mdb .de). Auf schwarzrotgoldenem Hintergrund lächelt der ausgebildete Maschinenschlosser „Für Zukunft und Arbeit“ und freut sich darüber, daß man ihn „angeklickt“ hat. Obwohl sich die Seiten durch eine Textlastigkeit auszeichnen, die schon an die Bleiwüste grenzt, hat Laumann „ausnahmslos positive Reaktionen“ erhalten. Der Christdemokrat glaubt fest daran, daß „in der heutigen Informationsgesellschaft“ das Internet „auch als politisches Medium immer mehr an Bedeutung gewinnt“. Er selbst hofft auf „eine Diskussionsvielfalt mit allen politisch Interessierten – nicht nur mit CDU-Wählern also –, und für die letzten Wochen des Wahlkampfes hat Laumann daher parteiübergreifende „politische Internet- Nächte“ ins Auge gefaßt. „Hier werde ich mich als Bundestagsabgeordneter den Fragen und dem Diskussionsbedarf der Online- Benutzer stellen.“

Christa Nickels war schon bei der Gründung der Grünen dabei, und sie ist auch die erste ihrer Partei mit einer eigenen Homepage (www.christanickels.de) im Netz. Bilder und Texte sollen den Netzbürgern eine „engagierte, linke Christin“ näherbringen. Im Internet sieht die kirchenpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen „ein Medium, das im guten Sinne Demokratie für alle ermöglichen kann“; und das, wie sie verschmitzt hinzufügt, dabei auch noch mächtig Spaß macht. Weil Christa Nickels Vorsitzende des Petitionsausschusses ist, möchte sie das Netz auch dafür nutzen – bisher mußten Petitionen handschrftlich unterzeichnet sein. Die Abgeordnete überlegt „eine Änderung“, wonach Petitionen auch in Form von Mails eingereicht werden können. In ihrer Linkliste stehen neben dem Petitionsausschuß, dem Braunkohleabbau GarzweilerII, Joschka Fischer (www.joschka.de) den offiziellen grünen Seiten (www.gruene .de) zahlreiche christliche Quellen: die evangelischen Kirche (www.ekd.de), der Vatikan (www.vatican.va/news_services/ pns_de.htm) oder die virtuelle Diözese des rebellischen Bischofs Jacques Gaillot (www.partenia .org) „Ich bin schlicht glücklich, wenn sich doch eine beträchtliche Zahl von Menschen für Themen interessiert, die in der Öffentlichkeit oftmals abgeschrieben sind: nämlich die Verbesserung der Bürgerinnen- und Bürgerrechte sowie die Kirchen“, begründet die Politikerin dieses Engagement.

Ihr Fraktionskollege Manuel Kiper dagegen, forschungs- und postpolitischer Sprecher der Bündnisgrünen, tritt im Web unter pweb.uunet.de/kiper.bn/ iuk.htm ähnlich textlastig auf wie Laumann. Nur macht er keine „Besuche bei Familien mit sieben Kindern“ wie der CDU-Mann. Kiper beschäftigt sich mit den „Zusammenhängen der Informationsgesellschaft“, mit Arbeit und Ökonomie. Seine Texte stecken voller Links: „Ich versuche bewußt, durch Verweise auf andere Quellen meine Arbeit in Relation zu dem zu setzen, was anderswo vorgeht.“ Am Internet schätzt er vor allem den schnellen und bequemen Austausch von Arbeitsmaterialien, Informationen und Meinungen. Daher ist für ihn der Mail-Kontakt wichtiger als das Web. „Wer was von mir will, mailt mir und bekommt eine Antwort. Davon haben beide Seiten etwas.“ So habe es per E-Mail auch schon regelrechte Internet-Debatten gegeben. Spontan fällt ihm die Auseinandersetzung über die Kontrolle des Netzes ein, der er auf seinen Seiten breiten Raum einräumt: „Da ging es hoch her.“

Dumm nur, daß der grüne Landesverband von Niedersachsen den im Bundestag von allen Parteien anerkannten Netzexperten nicht mehr auf einen sicheren Listenplatz gesetzt hat. Wer ihn in der nächsten Fraktion ersetzen soll, ist unbekannt.

Einer der Links auf Kipers Seiten führt zur Homepage des SPD- Abgeordneten Jörg Tauss. Das Nachrichtenmagazin Focus zählt ihn zu den „30 wichtigsten Internetmachern Deutschlands, der Spiegel nennt ihn schlicht „Inter-Tauss“. Die Homepage (www .tauss.de) zeigt ihn mit der Maus in der linken, zum Gruß erhobenen Hand. Dahinter folgt eine detaillierte Auflistung seiner Diäten und sonstigen Bezüge. Wem das zu intim wird, der kann sich zur Abschreckung ins politische Gegenlager der Union (www.cdu.de) weiterklicken, um sich danach reumütig in den von Tauss gegründeten „Virtuellen Ortsverein“ (VOV) der SPD (vov.de) zum „Kohligotchi“-Spiel einladen zu lassen. „Im ersten Jahr kamen 6.000 Mails“, stöhnt Tauss unter der elektronischen Last, muß aber diese Reaktion dennoch als „überaus positiv“ bezeichnen. Auch er will das Netz stärker als bisher in den demokratischen Meinungsaustausch einbeziehen. „Auf den Bundestag bezogen, stelle ich mir virtuelle Anhörungen vor“, läßt Tauss seine Gedanken in die Zukunft schweifen.

Das Schweigen der Hinterbänkler

Morgenluft für Hinterbänkler. In den Taussschen Anhörungen käme endlich auch der SPD-Abgeordnete Jakob-Maria Mierscheidt zu Wort, von dem das Bundestagsprotokoll keinen einzigen Redebeitrag vermerkt. Er ist auch der einzige, der auf den offiziellen Seiten des Bundestages ohne Bild erscheint (www.bundes tag.de/mdbmiersja0.htm). Aber unter „Mierschespdfrak.de“ ist er über E-Mail erreichbar, nur muß er auf diesem Wege auch noch sämtliche anderen Angaben dementieren, die der Bundestags- Server über ihn verbreitet. Er sei „ein Schneider, kein Schreiner, und „geboren am 1.3. 1933“ und nicht „am 27.4. 1918“, schreibt er. Kein Wunder daß er „Kommunikation“ für „sehr wichtig“ hält und versichert, alle Medien dafür zu nutzen. Mit Ausnahme der Brieftaube allerdings, denn Mierscheidt ist Vorstandsmitglied der Niederhosbacher Brieftaubenfreunde, aber auch ein Anhänger des Tontaubenschießens. Das gibt ihm zu denken: „Die Gefahr von Verwechslungen ist da ja nicht ganz ausgeschlossen. Und wer schießt schon gern seine eigene Post ab?“ Walter Jungbauer

jungbauer@journalismus.com

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