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Paradoxe Diffamie

■ Gestern stellte die unabhängige serbische Tageszeitung "Nasa Borba" ihr Erscheinen ein

Wien (taz) – Was waren das für Zeiten! Herbst 1994. Tausende gingen auf die Straße und riefen „hocemo nasa Borba“ – „wir wollen unsere Borba“.

Auf dem Höhepunkt der Studentenproteste gegen das diktatorische Regime von Präsident Slobodan Milošević waren es sogar Zehntausende, die Belgrad in ein Protest-Happening verwandelten, für Bürgerrechte und Pressefreiheit demonstrierten. Die Obrigkeit hatte zugeschlagen und die einzige kritische Tageszeitung des Landes, die Borba (Kampf), auf Regierungskurs getrimmt, Redakteure entlassen, Auflage und Vertrieb ganz zu Gunsten der alleinregierenden Sozialistischen Partei neu geregelt. Und doch gelang es damals von einer Privatwohnung aus, mit nur einem Telefon- und Faxanschluß, eine neue Zeitung zu starten, vorbei an Zensur und Repression. Nasa Borba (Unsere Borba) hieß das Blatt, die erste vollkommen unabhängige Tageszeitung Serbiens nach 50 Jahren KP- Herrschaft. Damals ist lange her. Seit gestern gibt es keine Nasa Borba mehr. Fast spurlos ist sie von den Zeitungskiosken und vom Internet verschwunden.

Finanzielle Probleme sollen es gewesen sein, die zur Einstellung des Blattes führten. Das gab gestern zumindest der Hauptaktionär von Nasa Borba, der Medienunternehmer Dusan Mijić, bekannt. Gleichzeitig kündigte er an, er plane einen Umbau der Redaktion und denke an ein Wiedererscheinen der Zeitung. Die Betroffenen wissen es besser. Ex-Chefredakteur Branislav Milošević (nicht verschwägert mit Staatschef Milošević) ist verbittert: „Ein langes Intrigenspiel ging zu Ende, das Hickhack innerhalb der Opposition um Macht und Gleichschaltung der Presse verpaßte Nasa Borba den Todesstoß.“ Denn allen war das Blatt zu kritisch, zu diskussionsfreudig, zu provokativ, den Oppositionsparteien ebenso wie dem Regime.

Auf täglich mindestens zwanzig engbedruckten Seiten versuchte Nasa Borba ein weites Spektrum von Nachrichten und Meinungen abzudecken. Die Redaktion leistete sich dafür sogar einen Korrespondenten beim UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag und im „feindlichen“ Sarajevo. Anders als sonst in der Presse kamen bei Nasa Borba täglich auch Albaner zu Wort, die ihre Sicht des Kosovo-Konfliktes den serbischen Lesern darzulegen versuchten.

Alles heikle Themen, die den meisten Lesern zu weit gingen. Viele Serben wollen sich einfach noch immer nicht mit den Details serbischer Greueltaten gegen Kroaten und Bosnier auseinandersetzen, die das Tribunal in Den Haag penibel aufzurollen weiß, und vom Ausmaß an Vertreibung und Mord im Kosovo gegen albanische Zivilisten wollen sie einfach nichts lesen.

Die verkaufte Auflage von Nasa Borba sank in den vergangenen Monaten dramatisch auf weniger als 15.000 Exemplare täglich, aus Sicht der Zeitungsmacher nicht zuletzt aufgrund der Hetzkampange zahlreicher Oppositionspolitiker. Da das Blatt aus dem staatlichen Zeitungsvertrieb ausgeschlossen war, fand Nasa Borba nur über Handverkäufer und alternative Vertriebssysteme seine Leser, doch an sogenannten „freien Zeitungskiosken“ wurde die kritische Lektüre immer seltener ausgelegt. Die Spitzenpolitiker der Opposition sorgten dafür, daß Mitteilungsblättchen der Partei überall zu haben waren, nicht aber Nasa Borba. Diese Blättchen scheuten sich auch nicht, die Konkurrentin als „antiserbisches“, „promoslemisches“ oder „großalbanisches Kampfblatt“ zu diffamieren.

Das Paradoxon dabei: Wer an Kiosken im „moslemischen“ Sarajevo oder im albanischen Kosovo nach Nasa Borba fragte, bekam die abschlägige Antwort, so ein „Serbenblatt“ führe man doch nicht. Karl Gersuny

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