: Die Flucht aus dem Rubel
Nachdem die russische Regierung die Umschuldung ihrer Staatsanleihen verkündete, stürzte der Rubel noch weiter ab. Der Devisenhandel mußte ausgesetzt werden ■ Von Nicola Liebert
Berlin (taz) – In Moskau sind Dollar begehrter denn je. Nach einem Kurssturz des Rubel um 9 Prozent am Dienstag und weiteren 5 Prozent gestern morgen fiel der russischen Zentralbank nichts anderes mehr ein, als den Handel Rubel gegen Dollar zu stoppen. Denn die Nachfrage nach Dollar hatte die vorhandenen Dollar-Reserven bei weitem überschritten. Alle Devisenkontrakte, die russische Banken untereinander abgeschlossen hatten, wurden annulliert. Daraufhin allerdings stürzten sich die Banken, die ihre Rubel loswerden wollten, auf die D-Mark. Binnen weniger Stunden zog deren Kurs um 70 Prozent auf 7,60 Rubel je Mark an. Mehrfach wurde an der Devisenbörse der Handel ausgesetzt.
Damit haben die Anleger gezeigt, was sie von der vorgestern verkündeten Umschuldung für russische Staatsanleihen halten: nichts. Der neue Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin hatte erst am späten Dienstag abend Einzelheiten öffentlich gemacht. Der russische Staat will demnach umgerechnet 72 Milliarden Mark seiner kurzfristigen Rubel-Schulden erst später zurückzahlen. Die Anleihen, die ursprünglich eine Laufzeit bis höchstens Ende 1999 hatten, werden jetzt zwangsweise in neue Schuldverschreibungen umgetauscht, die noch über drei bis fünf Jahre laufen. Anleger können ihre Rubelanleihen auch in Dollaranleihen umtauschen. Aber erstens können sie nur 20 Prozent des ursprünglichen Rubelwerts umtauschen, und zweitens bekommen sie diese Dollar-Anleihen dann erst im Jahr 2006 zurückgezahlt.
Der Grund dafür ist einfach: Andernfalls droht der Staat pleite zu gehen. Allein bis Ende dieses Jahres wären Anleihen für 113 Milliarden Rubel fällig geworden – das entspricht einer halben Milliarde Mark, wenn man den Wechselkurs vom Dienstag zugrundelegt. Zu den auf Rubel lautenden Schulden kommen noch die Auslandsschulden der russichen Regierung hinzu, die zumeist in Dollar zurückzuzahlen sind. Westliche Bankiers schätzen, daß 15 bis 17 Milliarden Dollar nächstes Jahr fällig werden. Die gesamten Devisenreserven des Landes betragen derzeit nur 13 Milliarden Dollar.
Das Vorhaben komme praktisch einem Zahlungsverzug gleich und erschüttere das Vertrauen in Rußland auf Jahre hin, urteilten gestern westliche Finanzexperten. Banken und Investmenthäuser, die sich auf den lukrativen Erwerb russischer Staatsanleihen eingelassen hatten, sind vor allem sauer, weil sie nun noch jahrelang in Rußland engagiert bleiben müssen. Und das angesichts noch weiter wachsender Unsicherheit hinsichtlich der wirtschaftlichen Zukunft Rußlands. Die Kreditbewertungsagenturen Standard & Poor's und Moody's bewerten russische Schuldverschreibungen inzwischen so, daß sie die Möglichkeit eines Staatsbankrotts nicht mehr ausschließen.
Die Sorge über die russische Finanznot macht auch der Deutschen Bank zu schaffen. Bis gestern mittag verlor ihr Aktienkurs über 6 Prozent. Dabei sind die deutschen Banken von der Umschuldung der Rubel-Anleihen kaum betroffen. Nach eigenen Angaben hatten sie sich an den wilden Spekulationen mit den Staatsanleihen nicht beteiligt. Nur 1,3 Milliarden Mark nicht versicherter Rußlandkredite hätten Deutsche und Dresdner Bank jeweils noch offenstehen, die Commerzbank gab den Betrag mit knapp einer Milliarde Mark an.
Kredite von westlichen Regierungen und des Internationalen Währungsfonds fallen nicht unter die Umschuldung. Die Sprecherin des Bundesfinanzministeriums betonte, daß der deutsche Staat, bei dem Rußland mit 75,8 Milliarden Mark in der Kreide steht, keine Zahlungsausfälle durch die Umschuldung zu erwarten habe. Betroffen davon sind vor allem russische Banken, die Geschäfte mit den hochverzinsten Staatsanleihen gemacht und damit ihre Dollar- Geschäfte abgesichert hatten, aber auch ausländische Investoren, die auf den schnellen Rubel hofften.
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