Spurt durch die Heide

■ Volker Klemm ist Dampflokführer, ein (Neben-) Beruf, für den nicht mehr ausgebildet wird / Mehrmals im Jahr fährt er die Museumsbahn „Jan Harpstedt“ zwischen Delmenhorst und Harpstedt

Der Anfang ist relativ einfach. Die ersten Bahnübergänge sind mit Blinklicht gesichert. Aber dann, kurz hinter Delmenhorst, beginnt die wahre Herausforderung für den Lokführer. Über dreißig Mal muß Volker Klemm dann angestrengt nach rechts aus dem Lokfenster schauen, immer bremsbereit. Zweimal pfeift die Lok, bevor der Zug die Straßen und Wege überquert. Aber daß dieses Signal beachtet wird, darauf kann er sich nicht verlassen. „Besonders die Autofahrer achten da nicht richtig drauf. Die denken, daß am Wochenende eh kein Zug fährt“, stellt Klemm nüchtern fest. Dabei pendelt der Museumszug, die historische Kleinbahn „Jan Harpstedt“, gerade an mehreren Wochenenden im Jahr zwischen Delmenhorst und Harpstedt hin und her.

Seit zwei Jahren ist Volker Klemm geprüfter Lokführer für Dampfloks. Im wahren Leben arbeitet der 35jährige als Speditionskaufmann in Bremen und wohnt im Viertel. Doch die Eisenbahn hatte es ihm schon immer angetan, „hat ja auch was mit meinem Beruf zu tun“. Starke Nerven muß er haben für die vielen unbeschrankten Querungen auf der Museumsstrecke. „Das ist schon stressig“, meint er, wirkt dabei aber wie die Ruhe selbst. Daß Klemm Dampflokführer geworden ist, ist ein bißchen Zufall. 1978 ist er das erste Mal mit „Jan Harpstedt“ gefahren. Damals hatte sich der Verein Delmenhorster-Harpstedter Eisenbahnfreunde gerade neu gegründet. Auf der aus dem Jahr 1912 stammenden 22 Kilometer langen Strecke verkehrte regulär nur noch Güterverkehr, der Verein durfte die Gleise in den Sommermonaten nutzen.

Bis 1992 zog eine Diesellok die alten Wagen durch die Gegend, dann schaffte der Verein eine Dampflok an. „Dafür gibt es heute bei der Deutschen Bahn gar keine Ausbilder mehr“, schildert Klemm und lächelt ganz zufrieden. Der Verein hatte nämlich einen pensionierten Lokführer aus dem benachbarten Kirchweyhe gefunden, der gemeinsam mit einem Sachverständigen, einem Ingenieur, die theoretische und praktische Ausbildung für Heizer und Lokführer in die Hand nahm. 1994 fuhr Klemm die ersten Male als ausgebildeter Heizer mit. „Dann wollte ich das Ding auch mal selber fahren.“ Seit 1996 darf er das.

Am unangenehmsten für ihn wird die Strecke direkt nach der Delmenhorster Stadtgrenze. Dort liegen noch die alten Schienen von 1912, „da rumpelt der Zug höchstens mit 30 Stundenkilometern entlang.“ Ständig muß er rechts aus der Lok herausschauen, um den Zustand der Schienen einschätzen zu können. Der Heizer schaut zum linken Fenster hinaus, wenn er nicht gerade Kohlen schaufeln muß. „Aber so sehen wir viel von der Landschaft“, meint der 35jährige. Die Steller Heide beginnt dort nämlich, ein Landschaftsschutzgebiet mit Sandböden und Stieleichen-Birkenwald. Wer am nächsten Halt im zu Stuhr gehörenden Stelle aussteigen würde, könnte dort spazieren gehen und Heideweiher entdecken. Diese Gewässer sind sehr flach und beherbergen viele Libellen- und Amphibienarten. Wer sich dabei etwas südlich orientiert, gelangt in eine extensiv genutzte Feuchtwiesenniederung. Kiebitze und Uferschnepfen brüten hier, die Sumpfdotterblume ist ebenfalls heimisch.

Meistens aber, weiß Volker Klemm, steigen hier keine Gäste aus, sondern ein. Häufig sind das Bremer, die aus dem nahen Huchting mit dem Fahrrad gekommen sind. Räder nimmt „Jan Harpstedt“ nämlich auch mit, und die in blaue Uniformen gewandeten Mitglieder des Eisenbahn-Vereins helfen tatkräftig beim Einladen. Der Zug rollt weiter durch andere Ortsteile von Stuhr, hält in Groß Mackenstedt und in Heiligenrode. Das Stoppen ist eine der schwierigsten Aufgaben von Volker Klemm. „Den Zug fahren lassen kann jeder. Aber ihn so anzuhalten, daß er richtig am Bahnsteig steht, das lernt man nur aus Erfahrung.“ Man glaubt ihm das. Vereinzelt steigen Fahrgäste in Heiligenrode aus, gehen über die Schienen Richtung Mühlenensemble, wo es neben der restaurierten Mühle und den dazugehörigen Scheunen eine wasserspeiende Skulpturengruppe im Mühlenteich zu sehen gibt. Oder sie spazieren durch die Umgebung, die zum Naturpark „Wildeshauser Geest“ gehört.

Der Zug bummelt weiter durch die Bürsteler Heide Richtung Kirchseelte. Dahinter warten neue Herausforderungen auf Lokführer und Heizer. „Da kommt eine für hiesige Verhältnisse beträchtliche Steigung. Wir müssen hier den Geestrandrücken hinauf“, sagt Klemm und zählt auf: Genügend Wasser muß im Kessel sein, das Feuer richtig durchgebrannt, so daß der Spitzendruck von 13 bar erreicht wird. Dann zieht die Lok den Hügel hinauf. „Ein kleiner Ehrgeiz ist schon da, daß man das in einem Schwung schafft. Aber die Gäste haben ja auch dafür bezahlt, und dann soll die Beförderung einwandfrei sein. „Wenn der Hang überwunden ist, beginnt Klemms Lieblingsabschnitt. Das lange Tal zwischen Groß Ippener und Dünsen begeistert ihn, besonders im Herbst. Der Zug durchquert das Tal, in dem der Dünsener Bach fließt, hohe Bäume säumen links und rechts den Weg. „Stellenweise wachsen die Bäume oben zusammen. Dann bilden sie eine Art Tunnel“, erklärt der Hobby-Lokführer und formt mit den Händen ein Dach.

Der nächste Halt ist Dünsen, die Abteile werden deutlich leerer. Viele Gäste wandern durch den angrenzenden Wald und kehren dann im Gasthof Rogge ein, der direkt neben dem Bahnhalt reizvoll am Waldrand gelegen ist. Der große Biergarten unter Bäumen lädt zum Verweilen ein.

Nur noch drei Kilometer sind es jetzt bis Harpstedt. An der Endhaltestelle müssen Lokführer und Heizer mit Hilfe eines Förderbandes 1,6 Tonnen Kohle inden Vorratsbehälter des Zuges nachfüllen, erst dann kann die Reise wieder nach Delmenhorst zurückgehen.

Für die Überbrückung der Wartezeit im Flecken Harpstedt empfiehlt sich neben der Einkehr in die nobel-rustikale Gaststätte „Zur Wasserburg“ der Rundwanderweg entlang der Delme bis nach Horstedt. Wer das Fahrrad im Zug mitgebracht hat und damit zurück nach Delmenhorst fahren will, sollte für ein kurzes Stück die Straße nach Groß Ippener einschlagen und dann in die Landstraße Richtung Prinzhöfte einbiegen. Der Weg führt durch Wald und Wiesen zur Großen Höhe. Dort hat vor einem knappen Jahr der Verein für ganzheitliches Lernen Prinz Höfte ein Kulturcafé eröffnet, das an den Wochenenden betrieben wird. Bei gutem Wetter läßt es sich prima draußen sitzen, bei herbstlichen Temperaturen wird die vegetarische Küche im Wintergarten serviert. Von der Großen Höhe führt der Weg dann über Hoyerswege oder Adelheide nach Delmenhorst. Daniela Martin