Wahlkampf 98: Parteien am Rande
: „Wer Protest wählen will, muß uns wählen“

■ Neben den etablierten Parteien treten zur Bundestagswahl 18 kleine an: Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands hat sich den „echten Sozialismus“ auf die Fahnen geschrieben und will die Massen mobilisieren

Keine Partei hat es derzeit leicht. Doch diese Partei klagt, daß sie es besonders schwer hat. Entweder würde sie in den Medien falsch dargestellt oder bekäme aus fadenscheinigen Gründen keine Räume zur Verfügung gestellt, schimpft Bernd Riemer, der als Direktkandidat für die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) in Neukölln antritt. Deshalb will der 50jährige Arbeitslose vor einem Treffen einige Dinge abklären: Er möchte den Text vor der Veröffentlichung gegenlesen. Geht nicht? Aber wenigstens die Zitate! Einverstanden. Nach langem Hin und Her über die Modalitäten kündigt er an, das Gespräch aufzuzeichnen.

Dazu kommt es dann doch nicht. Doch geheimniskrämerisch geht es weiter. Die Mitgliederzahl wird nicht verraten. Begründung: Es komme nicht auf Zahlen an, außerdem wolle man dem Verfassungsschutz, der die 1982 im Ruhrgebiet gegründete und in der DDR verbotene Partei überwacht, keine Informationen via Presse geben. Nur soviel: Die Wählerinitiative in Berlin hat etwa 80 Mitglieder, 150 Sympathisanten und rund 3.000 Mark für den Wahlkampf.

Das sind wenig Mitstreiter und wenig Geld für das, was die Partei vorhat: den Aufbau des einzig wahren Sozialismus, des „echten Sozialismus“. Der „reale Sozialismus“ in der DDR habe den Sozialismus „verächtlich“ gemacht. Liest man das Parteiprogramm, flackern Erinnerungen an den Staatsbürgerkundeunterricht auf. Da ist vom „Klassenbewußtsein der Arbeiter“ und der „Zerrüttung der bürgerlichen Familienordnung“ die Rede, das Wort „revolutionär“ wird inflationär gebraucht. Mit Absicht werden DDR-Ausdrücke aufgegriffen, sagt Riemer. Denn diese Begriffe seien im Osten falsch benutzt worden. Das scheinen die Ostler selbst anders zu sehen. In Ostberlin hat die MLPD nur in Treptow und Marzahn eine „Grundeinheit“.

Nein, weltfremd seien sie nicht, betonen der Direktkandidat Riemer und Angelika Trendelenburg, die die Landesliste anführt. Der „echte Sozialismus“ sei „der nächste Schritt nach vorne in der gesellschaftlichen Entwicklung“, sagt sie. Daß ihnen die Leute nicht in Massen zuströmen, liege daran, daß ihnen eingeredet werde, daß sie nichts an ihrer Lage ändern könnten, ergänzt die 41jährige Krankenschwester. „Man muß erkennen, daß die Ursachen im System selber liegen“, so Riemer.

Außerdem müsse man erkennen, daß die „Protestwähler“ eine „Illusion“ und Erfindung der Presse seien. Der einzige wahre Protest sei, so Trendelenburg und Riemer, die MLPD zu wählen. Doch mit einem Kreuz allein lasse sich die Gesellschaft auch nicht verändern, sind sie sich einig. Die Leute müssen aktiv werden, fordern sie. Zur „Mobilisierung der Massen“ plant die MLPD Aktionsstände in Treptow und Neukölln. Weil die Arbeiter die einzigen sind, „die an der Überwindung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen“ wirklich Interesse haben, der MLPD aber nicht die Türen einrennen, will die Partei Aktionseinsätze bei Herlitz, Siemens und Daimler machen. Barbara Bollwahn

wird fortgesetzt