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Immer Hürden auf der Bahn

Gesichter der Großstadt: Seit 30 Jahren organisiert Rudi Thiel als „Mr. Istaf“ das Leichtathletikfest. Jetzt geht er in die (vorläufig) letzte Runde, und die Istaf-Zukunft ist ungewiß  ■ Von Jürgen Schulz

Rudi Thiel hat nicht einmal mehr Zeit, sich richtig aufzuregen. „Die Gerüchte um meinen Rücktritt haben mich genervt. Dabei habe ich doch nur gesagt, daß ich mit 70 Jahren nicht mehr ewig zur Verfügung stehen kann.“ Er hat ein Signal zum Abgang gegeben, vielleicht in weiser Voraussicht, daß sich doch einmal andere um die Zukunft des Internationalen Stadionfestes (Istaf) einen Kopf machen sollen.

Den seinen hat er dafür im Augenblick nicht frei. Der Organisator des traditionsreichen Istaf ist vollauf damit beschäftigt, die aktuelle Auflage des 1937 eingeführten Leichtathletik-Sportfestes gut über die Runden zu bringen. Morgen abend um 20 Uhr steht wieder einmal viel auf dem Spiel. Binnen drei Stunden wird im Olympiastadion ein stattliches Budget von 4,3 Millionen ausgegeben für 22 Europameister und etliche Weltstars der leichten Athletik.

Bei Thiels Premiere im November 1968, als der einst passable Mittelstreckenläufer erstmals verantwortlich zeichnete, sah das noch ganz anders aus. 52.000 Mark, erinnert er sich, standen damals zur Verfügung für das Istaf, das wegen des späten Oktober-Termins der Olympischen Spiele in Mexiko im November in der Deutschlandhalle stattfand.

Wie alle Mitarbeiter schuftete der Cheforganisator ehrenamtlich, sein Brot verdiente der Architekt in der Senatsbauverwaltung, wo er unter anderem am Bau der Nationalgalerie sowie des Kammermusiksaals beteiligt war. „Ich war froh, als die Gleitzeit eingeführt wurde“, erinnert sich der Pensionär.

Sportlich begann Thiels Istaf- Ära mit einem Flop. Der Berliner hatte den frischgebackenen Hochsprung-Olympiasieger Dick Fosbury, der sensationell rücklings über die Latte hechtete („Fosbury- Flop“), bereits fest an der Angel, als sich der US-Boy wenige Tage vor Abreise nach Deutschland in New York den Knöchel verstauchte. Die Plakate, auf denen Thiel mit dem High-Jump-Revolutionär warb, der hervorragend in die wild-bewegten Endsechziger an der Spree gepaßt hätte, waren über Nacht Makulatur.

Die Zuschauer nahmen es nicht übel, sondern strömten nach Eichkamp. Der Macher konnte aufatmen, waren die Fans doch in den Anfängen das Salz in der Suppe. Sie minimierten mit ihrem Ticket das finanzielle Risiko der bis dato gastgebenden Klubs OSC, SCC und BSC. „Die Sportler“, sagt Thiel im Rückblick, „haben damals wesentlich weniger verdient als heute und erhielten ihre Gagen meist inoffiziell.“

Die Zeiten änderten sich bald für Thiel. Ende der 70er hielt die Spezies der Sponsoren Einzug, die Bandenwerbung installierte und sogar die Startnummern der TeilnehmerInnen für sich reklamierte. Das Fernsehen entdeckte die Attraktivität der Leichtathletik. Gönnerhafte Mäzene, die aus edlen, meist uneigennützigen Motiven „ihren“ Sport unterstützten, wurden verdrängt. Die Stars der Tartanbahn gewannen an Macht. Einige versuchten, überproportional zu partizipieren am rasant wachsenden Prämienkuchen. Auch Rudi Thiel fiel beim Gagenpoker auf „Blender“ herein: „Man mußte hoch ins Risiko gehen, extreme Beispiele sind bei mir jedoch nicht haftengeblieben.“

Auch politisch geriet das Sportfest in Bedrängnis. Wegen des Besatzungsstatus von Berlin mußte sich Thiel „in den Ostblock vorarbeiten“, um aus den dortigen Leichtathletik-Großmächten namhafte Leute ins Olympiastadion zu locken. Eine Verlegenheitslösung entpuppte sich dabei 1978 als Highlight der Istaf-Historie. Die DDR-Hochspringerin Rosemarie Ackermann, die in Vertretung einiger Kollegen antrat, die keine Ausreisegenehmigung erhielten, überwand als erste Frau die „Schallmauer“ von zwei Metern.

Thiel sagt heute, dies habe geholfen, seine Midlife-crisis zu bewältigen. „Mein Ohr hörte nicht auf zu piepen, und ich befürchtete einen Herzinfarkt. Mein Arzt meinte jedoch: Machen Sie weiter, Sie brauchen das.“

Als die Berliner Mauer fiel, glaubte „Mr. Istaf“ an rosige Zeiten. 30.000 Leute Stammpublikum im Westen plus 20.000 neue Zuschauer aus der damaligen DDR, so lautete seine Rechnung. Thiel wurde eines Schlechteren belehrt. Die Ost-Kundschaft kam nur spärlich. Sein frustriertes Fazit: „Mallorca war vielen wichtiger.“ Erst allmählich stieg die Akzeptanz des Leichtathletik-Events in der früheren DDR.

Obwohl sich Thiel angesichts seines Alters sträubt, längerfristig zu planen, so hat er sich zwangsläufig Gedanken zu machen über die Zukunft seines „Kindes“. Eingebettet in die europäische Golden League, eine 1998 installierte Veranstaltungstour des Internationalen Leichtathletik-Verbandes, muß das Istaf in zwei Jahren nachweisen, daß es zu den top ten der Liga zählt. Falls nicht, droht der Abstieg in die internationale Bedeutungslosigkeit. Und das wäre zuviel der Tragik auf die alten Tage des Berliner Leichtathletik-Dinos.

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