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■ Der SPD-Wahlkampf gilt, links wie rechts, als bloße Inszenierung. Ein bigottes Argument – denn genau das verlangt die GesellschaftDie Politik ist anderswo

Ja doch, dieser Wahlkampf ist langweilig. So langweilig ist er, daß die abgeklärtesten der Beobachter schon die Nase rümpfen und ihr unterkühltes Resümee ziehen, noch bevor so richtig begonnen hat, was früher einmal „heiße Phase“ genannt wurde. Das wirkt dann ziemlich souverän, aber irgendwie auch ein bißchen resignativ: Was wir sehen, kennen wir alles schon. Neugier, was sich hinter dem vermeintlich noch so Langweiligen vielleicht am Ende doch verbergen, vor allem: was sich daraus politisch entwickeln könnte, ist kaum irgendwo zu spüren.

Es sind nicht Helmut Kohl und seine kopflose CDU, die den gängigen Tadel auf sich ziehen. Von Kohl, der nach landläufiger Meinung seit sechzehn Jahren dieselbe Rede vorträgt, hat man ja ohnehin nie viel gehalten. Nun aber, so kurz vor seinem nirgendwo mehr ernstlich bezweifelten Abgang, überwiegt fast schon die Melancholie. Immerhin bedeutete die verläßlich taubenblaue Anwesenheit des Kanzlers stets auch ein Element der Kontinuität inmitten im übrigen unübersichtlicher Verhältnisse. Wer immer kam oder ging im öffentlichen (wie auch im privaten) Leben, was auch begann oder endete: Kohl blieb, wo er war, berechenbar und kaum jemals bedrohlich. Er wird deshalb eine Leerstelle hinterlassen, wo bislang ein Leuchtturm stand, der (selbst in der Abgrenzung) zu Orientierung und Identität beitrug. Jetzt, da der Abschied von Kohl bevorsteht, plagen sich selbst etliche seiner Verächter mit vorauseilenden Phantomschmerzen herum.

Das derzeit modische Herummäkeln an der angeblich programmatisch entkernten Designer-Sozialdemokratie mit ihrem nichts als machtgierigen Kandidaten erscheint so gesehen in einem anderen, nicht ganz unbedenklichen Licht: Es entspricht vielfach gerade nicht dem vorwärtsgewandten Wunsch nach einer anderen, mutigeren, „besseren“ SPD, nach einem überzeugenderen Kandidaten, überhaupt nach politischem Aufbruch und Neuanfang. Vielmehr handelt es sich bei diesem Anti-Schröder-Sentiment um die bloße Kehrseite einer diffusen, im Grunde unpolitischen Furcht vor dem Verlust des Gewohnten.

Es ist schon aufschlußreich: Mit nahezu allen ihrer Deutungsvorgaben ist die CDU in dieser Kampagne ins Leere gelaufen, zuvörderst mit ihrem Versuch, die Auseinandersetzung mal wieder als titanischen Kampf zweier diametral entgegengesetzter Lager zu porträtieren. Auch was das von allen guten Geistern verlassene Adenauer- Haus sonst zu lancieren versuchte, von der Tankstellenkampagne über die „rote Hände“ bis zur „Neue Bundesländer Illustrierten“, ging regelmäßig in die Hose.

Nur mit einer einzigen ihrer Parolen haben die Christdemokraten offene Türen eingerannt – mit der Devise nämlich, die SPD führe einen inhaltslosen, glatten, ausschließlich auf mediale Effekthascherei ausgerichteten Wahlkampf und weiche jeder inhaltlichen Debatte feige aus. Diese Gewißheit gehört inzwischen zum diskursiven Allgemeingut der Republik. Auch daß der Kandidat Schröder dem „Pudding“ gleiche, den man nicht „an die Wand nageln“ (Wolfgang Schäuble) könne, ist längst conventional wisdom. Sozialdemokraten freuen sich verschmitzt darüber, daß dieser Umstand ihre Chancen offensichtlich nicht beeinträchtigt; vergrämte Intellektuelle beklagen die nie mehr rückholbare „Amerikanisierung“ der SPD. Darüber aber, daß die Sozialdemokraten sich aller Inhalte entledigt hätten, um nur endlich wieder an die Macht zu kommen, sind sich alle herzlich einig mit den Strategen im Adenauer-Haus, die diese Losung ausgestreut haben.

Bemerkenswert ist das schon deshalb, weil sich die auf die SPD gemünzte Beliebigkeitsthese mit guten Argumenten auch bestreiten ließe. Natürlich, man kann der Ansicht sein, die steuer-, arbeitsmarkt- oder rentenpolitischen Vorschläge der SPD wiesen in die falsche Richtung. Man mag auch finden, zwischen den wirtschaftspolitischen Bekenntnissen Jost Stollmanns und Oskar Lafontaines lägen auffällige Widersprüche im Grundsätzlichen. Und gewiß stimmt es, daß Schröder sich nicht in allen Details seiner künftigen Politik festlegen läßt: Täte er es, hätte er die Wahl längst verloren.

Aber daß die Kampagne der SPD insgesamt soviel plakativer, banaler, gar puddinghafter ausgefallen wäre als jene der Union, ist mangels einer auch nur halbwegs objektivierbaren Meßlatte für politische Belanglosigkeit schlechterdings nicht zu belegen. Kaum weniger plausibel ließe sich auch das Gegenteil behaupten. Bekanntlich hat sich Wolfgang Schäuble mit seinem Versuch, der Union insgesamt einen argumentativen Wahlkampfstil zu verpassen, gegen Kohl nicht durchgesetzt. Gegen einen als Exponenten totaler Beliebigkeit gebrandmarkten Schröder konnte der „kristallklare Richtungswahlkampf“ der CDU nur ganz substanzfrei verlaufen.

Um so auffälliger ist es daher, daß die These von der totalen Inhaltslosigkeit des SPD-Wahlkampfes offensichtlich punktgenau den Nerv gerade auch unionsferner Milieus getroffen hat. Ob es sich dabei nun um die mentalen Folgen der langen Ära Kohl handelt oder nicht: Der kritiklose Großkonsens in dieser Frage verweist auf den Zustand forgeschrittener Politikferne einer Gesellschaft, die über das Spektakelhafte am gegenwärtigen politischen Wettbewerb nörgelt, aber abschaltet, sobald die Phonstärke des Spektakels sinkt. Sicherlich, die SPD führt einen mediengerechten Wahlkampf; nicht weniger richtig ist aber, daß sie genau das tun muß, um angesichts der Erwartungshaltung des blasierten Publikums Erfolg zu haben. Es ist schon verquer: Mit der Aufgabe, eine gesellschaftliche Stimmung des politischen Aufbruchs zu erzeugen, sind die Parteien heute hoffnungslos überfordert – die Gesellschaft läßt sie am langen Arm verhungern. Zieht eine Partei daraus die Konsequenzen, schreit dieselbe Gesellschaft „Verrat“ und „Hollywood“.

Daß Christoph Schlingensief mit seiner Partei „Chance 2000“ Konkurs anmelden mußte, mag man für nebensächlich halten. Der Umstand aber, daß damit gerade diejenige Partei Pleite gemacht hat, die mit dem Motto „Wähle dich selbst!“ in den Wahlkampf zog, gibt einen interessanten Hinweis auf den Zustand des politischen Gemeinwesens am Ende der Ära Kohl. Solange Politik hierzulande nicht auch mit Begriffen wie „Anfangen“ (Hannah Arendt) und „Selbermachen“ assoziert wird, können Wahlkämpfe gar nicht anders ausfallen als der gerade laufende. Darüber mag man jammern. Schuld daran sind nicht zuletzt die Jammernden selbst. Tobias Dürr

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