piwik no script img

Ungarns Sozialisten ließen ihre Gegner bespitzeln

■ Geheimdienst lieferte Materialien für Verleumdungskampagne gegen die heutige Regierung

Budapest (taz) – Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban und andere führende Politiker des regierenden nationalkonservativen „Verbandes Junger Demokraten“ (Fidesz) sind unter der im Mai abgewählten sozialistischen Regierung geheimdienstlich ausspioniert worden. Die in der Presse des Landes als „ungarisches Watergate“ apostrophierte Affäre kam Anfang letzter Woche ans Tageslicht. Ministerpräsident Orban beschuldigte die abgewählten Sozialisten, sie hätten im Wahlkampf aufgrund vom Geheimdienst gesammelten Informationen eine Verleumdungskampagne gegen seine Partei betrieben. Der Ex-Ministerpräsident Gyula Horn und andere Politiker der „Ungarischen Sozialistischen Partei“ (MSZP) haben die Vorwürfe bisher bestritten. Das „ungarische Watergate“ ist die zweite Affäre dieser Art im postkommunistischen Ungarn. Bereits vor den ersten freien Wahlen im Mai 1990 hatten Ungarns Ex-Kommunisten Oppositionspolitiker ausspionieren lassen.

Über den Hintergrund der jetzigen Schnüffelaffäre herrscht noch Unklarheit. Fest steht bisher, daß seit letztem Jahr neben dem Ministerpräsidenten Viktor Orban auch der Vizechef des Fidesz, Tamas Deutsch, der Fidesz-Fraktionsvorsitzende, Jozsef Szajer, und Familienangehörige führender Fidesz-Politiker ausspioniert wurden. Bei dem Material, daß über Fidesz-Politiker gesammelt wurde, soll es sich vor allem um vertrauliche Informationen über berufliche und finanzielle Aktivitäten von Fidesz-Politikern handeln. Nach mittlerweile von Polizei und Geheimdienst bestätigten Angaben hat die Informationen die private Pinpoint GmbH gesammelt, die als Deckfirma für das ungarische „Amt für nationale Sicherheit“ (NBH) gearbeitet haben soll. Einer der Pinpoint-Eigentümer war unter der im Mai abgewählten sozialistischen Regierung offiziell beim NBH angestellt, andere Firmeneigentümer verfügten über geschäftliche Verbindungen zum NBH. Unklar ist noch, wer die Auftraggeber in der Affäre waren. Mit dieser Frage wird sich ab heute ein Untersuchungsausschuß des ungarischen Parlaments beschäftigen.

Neben Ex-Ministerpräsident Gyula Horn haben auch der ehemalige ungarische Innenminister, Gabor Kuncze, und der ehemalige Minister für Geheimdienstaufsicht, Istvan Nikolits, bestritten daß der ungarische Geheimdienst im Auftrag der sozialistischen Regierung Fidesz-Politiker habe bespitzeln lassen. Nach noch unbestätigten Informationen sollen Personen, die der abgewählten sozialistischen Regierung nahestanden, nicht jedoch die ehemalige Regierung selbst die Ausspionierung initiiert haben. Spekuliert wird über den Ex-Direktor der staatlichen „Postbank“, Gabor Princz, der kürzlich von seinem Posten abgesetzt worden war und der den Sozialisten nahesteht.

Bei der ersten Schnüffelaffäre waren Anfang 1990 Wanzen in Büros und Wohnungen von Oppositionspolitikern gefunden worden. Verantwortlich waren Ungarns bis Mai 1990 regierende Kommunisten. Im Zuge der Affäre wurde im Frühjahr 1990 der Geheimdienst „Abteilung III/III“ aufgelöst. Keno Verseck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen