Berti – Aufbruch ins Gewisse

Mit neuen, international klingenden Namen versucht DFB-Trainer Vogts zu verschleiern, daß er selbst immer noch da ist – und zwar ganz der alte  ■ Von Christoph Biermann

Wenn sich die Nebel gelegt haben, wird aus dem neuen Deutschland wieder das alte erstehen. Aus Ruinen. Daran hat Berti Vogts schon vorab keinen Zweifel gelassen: „Das deutsche Spiel geht über den Kampf, ob wir das wahrhaben wollen oder nicht, deshalb werden wir weltweit beneidet.“ Also braucht es nur eine Generation neuer Kämpfer und ein kleines Zugeständnis an die Fußballmoderne. Bei Vogts heißt sie „ballorientierte Gegnerdeckung“.

Das hört sich interessant an, aber der DFB-Trainer weiß, was die Sehnsüchte des Publikums wirklich bedient. Wenn die Sache in die Hose gegangen ist, müssen neue Gesichter her. Vor den ersten Spielen nach der WM auf Malta heute gegen die Gastgeber (19.30 Uhr, ARD) und am Samstag gegen Rumänien hat die Öffentlichkeit folglich anderes mehr beschäftigt als spielerische Konzepte: die langen Listen der Aussortierten, Zurückgetretenen und Stand-by-Internationalen auf der einen sowie der Rückkehrer und Debütanten auf der anderen Seite. Von 22 Spielern aus dem WM-Kader sind auf Malta nur noch neun dabei.

Dafür präsentiert sich die neue Nationalmannschaft mit einem Deutsch-Schweizer (Neuville), einem Deutsch-Brasilianer (Rink) und einem Deutsch-Türken (Dogan), die internationales Flair und kosmopolitische Offenheit suggerieren sollen. Michael Ballack (21) und Marco Reich (20) kommen aus Kaiserslautern ohne Stammplatz in der Bundesliga, versprechen jedoch Jugend und Frische.

Man sollte Vogts nicht das Kalkül unterstellen, er präsentiere so viele Novizen, damit der Wunsch des Publikums nicht übermächtig werde, auf der Bank einen Neuen zu bekommen. „Ich muß doch den Neuanfang machen“, hat er fast flehentlich gesagt und sich „frisches Blut“ gewünscht. Nur, welchen Organismus soll das beleben?

Der gestern von Vogts zum neuen DFB-Kapitän ernannte Oliver Bierhoff hatte bereits vor seiner Anreise aus Mailand eine zukünftig „verbesserte Kommunikation“ angemahnt. Außerdem äußert er den Wunsch nach einem „festen Gerüst“, damit „es mehr Sicherheit gibt als bei der WM“. Dort wechselte Vogts in der Mannschaft ständig hin und her, wobei die Einfallslosigkeit des Teams nur immer augenfälliger wurde.

„In Italien bin ich zum Taktikverfechter geworden“, sagt Bierhoff auch noch. Vogts fällt dazu Effenberg ein. Damit hat er sich der lautesten Forderung nach der WM gebeugt. „Eine spielbestimmende Rolle“ weist der DFB-Trainer plötzlich jenem Mann zu, auf den er einst „nie mehr angewiesen sein“ wollte. Viereinviertel Jahre nach ausgestrecktem Mittelfinger und Rauswurf aus der Nationalmannschaft soll Effenberg noch so ein deutsches Fußballbedürfnis stillen: das nach einem Spielgestalter, der von seinem Feldherrenhügel aus die Geschicke der Mannschaft bestimmt.

„Stefan darf sich nicht unterordnen, er muß sich einordnen“, heißt Vogts' Formel für Effenbergs Resozialisierung. Den ehrt die Skepsis über seine rasante Rückholaktion aus der Verdammnis: „Nun soll ich der Retter sein – schau'n mer mal.“

Auf „Zickzackkurs“ wähnt die Süddeutsche Zeitung den Bundestrainer. Dabei hat Vogts neben dem leicht etikettenschwindelnden Wirbel um neue Namen nur eine Neuerung mitzuteilen: Die für das deutsche Spiel prototypische Position des Liberos soll es im neuen Deutschland nicht mehr geben. Als einen „fast revolutionären Sinneswandel“ bestaunt der kicker, daß die Abwehr als Dreierkette neu konzipiert werden soll.

Aber kann die neue Defensive allein einem neuen Stil den Weg bahnen? Wird die deutsche Nationalmannschaft andere Wege zum gegnerischen Tor finden als über den Kopf des neuen Kapitäns? Sucht sie den Anschluß an das taktisch aufwendige und technisch anspruchsvolle Offensivspiel mit Kurzpässen, häufigen Positionswechseln und dem aufmerksamen Verschieben in der Defensive, wie es die deutschen Teams aus Leverkusen, Rostock und Freiburg durchaus beherrschen?

Nichts davon deutet Vogts an. So ist es schade, daß die legendäre Buckelpiste des alten Nationalstadions Gzira auf Malta nur noch Fußballfolklore ist. Das hätte eine passende Szenerie abgegeben für den Aufbruch ins Gewisse. Dort hätte das DFB-Team sich auf einem steinharten Lehmplatz durch Staubwolken und Sandverwehungen ackern müssen. Deutsche Tugenden zeigen, mit einer tauglichen Ausrede unter den Stollen.

Oder sind das doch nur böswillige Unterstellungen? Gestern sagte Vogts das Training ab, der knochenharte Trainingsplatz sei in zu schlechtem Zustand.