Machtkampf in Moskau ohne Ende

■ Auch im zweiten Wahlgang will die Duma Tschernomyrdin ablehnen. Doch Jelzin hält an seinem Kandidaten für das Amt des Regierungschefs fest. Ex-General Lebed warnt vor Unruhen

Moskau (AFP/dpa) – Wiktor Tschernomyrdin, Wunschkandidat von Präsident Boris Jelzin für das Amt des Premierministers, droht auch bei der zweiten Abstimmung in der Duma durchzufallen. Das kommunistisch dominierte russische Abgeordnetenhaus will Tschernomyrdin auch am kommenden Montag ablehnen. Tschernomyrdin habe bei der geplanten neuen Abstimmung nicht den Hauch einer Chance, sagte der kommunistische Duma-Vorsitzende Gennadi Selesnjow gestern und empfahl Jelzin, noch andere Kandidaten in Erwägung zu ziehen. KP-Chef Gennadi Sjuganow sagte, die in der Staatsduma dominierenden Kommunisten und ihre Verbündeten würden erneut solidarisch gegen Tschernomyrdin stimmen. Jelzins Entschluß, an seinem Kandidaten festzuhalten, sei eine Provokation und bringe das Land „an den Rand eines Bürgerkriegs“.

Zuvor hatte Jelzin seine Entschlossenheit bekräftigt, Tschernomyrdin durchzuboxen. Innerhalb einer Woche werde die Regierung gebildet sein, kündigte er in Moskau an. „Ich werde dafür kämpfen.“ Er bestehe auf der Kandidatur Wiktor Tschernomyrdins. „Jeder Tag ohne gewählte Regierung bedeutet Millionenverluste für das Land und das Volk.“

Der russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass zufolge übermittelte Tschernomyrdin dem Präsidenten bereits seine Vorschläge für das künftige Kabinett. Danach soll es keine Veränderungen an der Spitze des Innen-, Außen- und Verteidigungsministeriums geben. Über die mit Spannung erwarteten Kandidaten für das Finanz- und das Wirtschaftsministerium wurde zunächst nichts bekannt. Tschernomyrdin hatte bei der ersten Abstimmungsrunde am Montag nur 94 Stimmen erhalten, während sich 251 Abgeordnete gegen ihn aussprachen.

Wenn die Duma einen vom Präsidenten vorgeschlagenen Regierungschef dreimal ablehnt, droht der Parlamentskammer nach der Verfassung die Auflösung.

Nach Auffassung politischer Beobachter pokern die Kommunisten, um möglichst viele Konzessionen zu erreichen. Zugeständnisse an die Duma in Gestalt einer Beschneidung der Vollmachten Jelzins waren in den Stabilitätspakt eingeflossen, auf den sich das Parlament und Tschernomyrdin am Wochenende geeinigt hatten und der die Voraussetzung für dessen Bestätigung als Ministerpräsident bilden sollte.

Der ehemalige russische Präsidentschaftskandidat und Gouverneur von Krasnojarsk, Alexander Lebed, warnte angesichts der Staats- und Finanzkrise vor dem Ausbruch sozialer Unruhen. Dazu könnte es spätestens bei einem für den 7. Oktober angekündigten Generalstreik kommen, sagte er im Gespräch mit der spanischen Zeitung El Mundo. „In diesem Herbst könnte es nicht nur politische, sondern auch echte Leichen geben“, erklärte Lebed.

Unterdessen ordnete Tschernomyrdin nach einem Agenturbericht an, daß Banken ihren Kunden Zahlungen unverzüglich gutzuschreiben haben. Tschernomyrdin habe ein Dekret unterzeichnet, das den Banken bei Verzögerungen Strafen bis zum Lizenzentzug androhe. Die Behörden im ganzen Land seien angewiesen worden, mit der Zentralbank zusammenzuarbeiten, um unverzügliche Gutschriften zu garantieren.