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Die Kunst des politischen Händedrucks

Mit einigem Spaß am Aufstieg zur Macht. Mike Nichols' Film „Primary Colors“ ist nah dran an der Geschichte der Clintons und bleibt hinter der aktuellen Entwicklung zurück. „Mit aller Macht“ zeigt die Geschichte einer Ehe auf der Höhe Hollywoods  ■ Von Brigitte Werneburg

Wer weiß schon von Daria Carter-Clark, die eine 100-Millionen- Dollar-Verleumdungsklage gegen den Verlag Random House und den anonymen, später als Newsweek-Kolumnist Joe Klein enttarnten Autor des Schlüsselromans „Primary Colors“ angestrengt hat? Die 51jährige Lehrerin leitet in New York das Alphabetisierungsprogramm einer Harlemer Bibliothek, in der sie im November 1991 den Präsidentschaftskandidaten Bill Clinton empfing, um ihm das Bildungsprogramm zu erläutern. Fünf Jahre später las sie in Kleins Bestseller von diesem Besuch, bei dem sie anschließend mit Clinton geschlafen haben soll. Ist doch wirklich kein Grund zu einer solchen Klage! Wie konnte die Frau die Spielregeln nur so mißverstehen?

Sehr erfolgreich scheint sie nicht gewesen zu sein, denn die Szene des Buches findet sich unverändert in Mike Nichols' Verfilmung wieder. Überhaupt hält sich Nichols' „Mit aller Macht“ recht strikt an seine Vorlage, und so beginnt der Film auch mit jener brillanten polit-anatomischen Studie über die Kunst des Händedrucks, die den Roman einleitet. Da stehen sie, die wichtigen Männer, brav aufgereiht, und der Präsidentschaftskandidat gibt ihnen die Hand. Es ist ein ganz normaler Händedruck – wäre der Kandidat nicht ein „Genie mit der anderen Hand“. Er legt seine Linke auf den Ellbogen seines Gegenübers oder den Bizeps – er freut sich, ihn kennenzulernen; manchmal legt er sie auf dessen Schulter – man kennt sich schon.

Dann wieder legt er seine Linke auf die Hand seines Gegenübers: der innige, doch seriöse Zweihänder, der um Vertrauen wirbt. Der Kandidat, so zeigt sich, als die Kamera in die Halbtotale geht, ist John Travolta. Mit 20 Pfund mehr auf den Rippen, grauen Haaren und jener signifikant heiseren Stimme sowie den perfekt abgeschauten gestischen Manierismen erkennt man ihn ohne weiteres als Bill Clinton, der hier Jack Stanton heißt und die Ochsentour durch die Vorwahlen zur Präsidentschaft 1992 macht. Dafür, daß er nur ein unbekannter Südstaatengouverneur ist, sieht die Sache ziemlich gut aus; aber dafür, daß es am Ende womöglich nicht gut genug aussehen könnte, trägt Stanton selbst Schuld: „Er könnte ein großer Mann sein, wenn er nicht so ein treuloses, gedankenloses, unorganisiertes und undiszipliniertes Stück Scheiße wäre“, wie seine Frau Susan (Emma Thompson) die Sachlage einwandfrei analysiert.

Sie weiß am besten, was ihn noch auszeichnet. Jack Stanton ist der denkbar großartigste Verführer: Mit seinem scheinbar trägen, immer gutgelaunten Charme verbindet er eine extrem kurze, geistesgegenwärtige Reaktion mit seiner Unbekümmertheit, die bis zur Fahrlässigkeit geht, eine hartnäckige Gerissenheit – und keiner kann so zuhören wie er. Stanton ist einer, der sich auf sein Glück verläßt und seine echt empfundene Sympathie mit dem sogenannten kleinen Mann und dessen Alltagssorgen. Sonst muß er sich wohl oder übel auf den schnellen Themenwechsel der Medien verlassen: Falls Brisantes durchsickert, dreht man den Spieß um und versorgt die Öffentlichkeit mit Enthüllungen über den politischen Gegner, sofern man sich im Wahlkampf befindet – und mit Sensationen möglichst militärischer Art, wenn man bereits der Präsident ist. Dieses Motiv allerdings wußte dann nicht Nichols (erfolgserprobt mit Filmen wie „Wer hat Angst vor Virgina Woolf“, „Die Reifeprüfung“, „Ein Käfig voller Narren“), sondern Barry Levinson auszuschöpfen. Und so las man letzte Woche, daß sich das Pressecorps am präsidialen Urlaubsort Martha's Vineyard die Zeit mit „Wag the Dog“ vertrieben haben soll, just als Bill Clinton den Militärschlag gegen Ziele im Sudan und in Afghanistan bekanntgab, also jene Komödie sah, in der das Weiße Haus mit Hilfe Hollywoods einen Albanienkrieg in den Medien inszeniert, um von den peinlichen amourösen Affären des Präsidenten abzulenken.

Muß – o Monica Lewinsky – der Zusammenhang von Kino-Fiktion und Washingtoner Realität inzwischen tatsächlich so eng geführt werden? Fast scheint es so. Wenn „Mit aller Macht“ von seinem Start in Amerika an bis heute ein kommerzieller Rohrkrepierer war, dann mag das durchaus an der Ungleichzeitigkeit der Stantonschen Film-Affären mit der realen Entwicklung der Clintonschen Chronique scandaleuse gelegen haben. Zumindest half sie dem Film nicht weiter. Freilich leidet der, trotz seiner brillanten Dialoge und seiner exzellenten Schauspieler, generell an etwas zu viel gutem Willen. Nichols und seine Drehbuchautorin Elaine May erweisen sich eher als Taktiker im Umgang mit dem Blick durchs Schlüsselloch denn als Strategen. Sie klopfen die Sache nicht fest. Sie möchten die Satire haben und den Kandidaten als die schiere Fassade, die das präsidiale Wahlkampfspiel verlangt. Gleichzeitig werben sie aber für Sympathie für jenen Mann mit seinen Widersprüchen und Schwächen, der die Präsidentschaft (dann) tatsächlich trägt.

Sie wollen die politische Kulissenschieberei entlarven, zelebrieren aber mehr die melancholische Rechtfertigung des Verrats an den ursprünglichen politischen Idealen, der die alte Weggefährtin Libby Holden (Kathy Bates) in den Selbstmord treibt. Sie wollen niemandem weh tun, und dafür übernehmen sie Kleins Alter ego, das zur dramaturgisch schwächsten Figur des Filmes wird. Auch und gerade, weil das Engagement des Enkels eines schwarzen Bürgerrechtlers für Stanton dessen Erzählperspektive liefert. Henry Burton (Adrian Lester), der den Löwenanteil der Szenen und Zeit bekommt, ist eben nur ein braver, rechtschaffener Junge, der mit großen Augen das allzu arge Treiben des Wahlkampftrosses und seiner Kontrahenten beobachtet.

Interessant wird es freilich in den Seitensträngen der Geschichte, wo sich etwa die beste Ehegeschichte ereignen darf, die Hollywood seit langem entwickelte. Die Stantons sind ein Paar „Mit aller Macht“, aber auch einigem Spaß am Aufstieg zur Macht; womöglich ist es noch mehr diese Lust, die sie zuletzt weit mehr eint als der Zwang zum Erfolg. Und wie sich die kluge Susan Stanton durch ihren Mann ständig frustrieren, ermutigen und verführen läßt, zeigt in nuce, daß er einfach ein politischer Erfolgsmensch sein muß. Hier gelingt Nichols, was er sonst kaum erreicht, die Verkürzung und Verknappung, die bereits die ganze Tragikomödie enthält.

„Mit aller Macht“. Regie: Mike Nichols. Mit John Travolta, Emma Thompson, Billy Bob Thornton, Kathy Bates, Adrian Lester u.a. USA 1997, 140 Min.

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