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„Gestopft wie die Gänse“

■ Mutmaßliche Drogenkuriere vor Gericht / Pärchen aus Brasilien schildert herzzerreißende Geschichte / Auf Milde hoffen können sie trotzdem nicht – Strafe muß sein, sagt der BGH

Die Zeitungsmeldung war kurz. „Flitterwochen endeten im Kittchen“. Der 26jährige Brasilianer, der sich gestern gemeinsam mit seiner Freundin wegen Drogenschmuggels vor dem Landgericht verantworten mußte, zittert am ganzen Körper als er in den Gerichtssaal geführt wird. Tränen rinnen über sein Gesicht. „Die beiden Angeklagten, eine 21jährige Frau und ein 26jähriger Mann, sollen in Lima/Peru 212 Päckchen Kokain übernommen und diese, verborgen in ihren Körpern nach Deutschland geschmuggelt haben, um es hier mit Gewinn zu verkaufen“, heißt es in der Pressemitteilung des Landgerichts.

Das Pärchen kommt aus Belém der Hauptstadt des Bundesstaates Pará, am südlichen Arm des Amazonasdeltas. „Kommen da die Paranüsse her?“ will der Vorsitzende Richter wissen. Der Angeklagte schüttelt den Kopf. Paranüsse kennt er nicht. Seinen Beruf gibt er mit „Verkäufer“ an. Acht Jahre sei er zur Schule gegangen, übersetzt die Dolmetscherin. Schon mit zehn Jahren habe er Flaschen auf der Straße verkauft und sich als Zeitungsjunge durchgeschlagen. Mit 17 lernt er seine Freundin kennen, die jetzt neben ihm auf der Anklagebank sitzt. Sie ist damals zwölf. Mit 13 wird sie schwanger. Die gemeinsame Tochter ist heute acht Jahre alt. Der Angeklagte versucht seine Familie mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. „Zum Heiraten fehlte das Geld“, sagt er mit gesenktem Kopf. „Wenn ich Geld hatte, habe ich ein Pfund Bohnen und eine Pfund Fleisch gekauft. Aber manchmal bin ich morgens raus und habe sowenig verdient, daß ich abends noch nicht mal den Bus nach Hause bezahlen konnte“. Was der Mann vor Gericht erzählt, spiegelt sich auch in offiziellen Berichten wider. „Der Umfang der Arbeitslosigkeit ist statistisch nicht hinreichend zu erfassen“, formuliert der Länderbericht des Statistischen Bundesamtes vorsichtig. „Das Ausmaß der versteckten Arbeitslosigkeit dürfte beträchtlich sein.“ Die „Bibliotheca Ibero-America“ (Brasilien heute) beschreibt die Situation drastischer: „Die amtliche brasilianische Statistik bestätigt die weite Verbreitung der Armut. Ein von der Verfassung garantierter Mindestlohn müßte für eine Familie von durchschnittlich 3,8 Personen ausreichen, aber die Hälfte aller Familien (rund 17 Millionen Familien mit rund 65 Millionen Menschen) haben nicht einmal dieses Mindesteinkommen“.

Im Januar sei er in einem Imbis von einer Frau angesprochen worden, erzählt der Angeklagte weiter. Sie habe ihm einem Job angeboten. 2.000 Dollar sollte er „für eine Reise“ bekommen. „Was genau ich tun sollte, hat die Frau nicht gesagt. Ich habe gedacht, daß es eine ehrenhafte Arbeit wäre.“ Er erzählt seiner Freundin von dem Angebot, doch die will ihn nicht alleine reisen lassen. „Kein Problem“, sagt die Frau. „Es gibt Arbeit für beide“.

Das Pärchen fliegt auf Kosten der Frau nach Lima. Die 2.000 Dollar wollen sie in einen Kiosk investieren, um „endlich besser zu leben“. Am Flughafen werden die beiden von einem Taxifahrer empfangen. Er fährt sie in ein Haus. „Acht Tage waren wir dort alleine. Jeden Tag kam eine Frau und hat den Haushalt gemacht. Passiert ist nichts. Wir sind doch hier, um zu arbeiten, habe ich irgendwann gefragt“, erzählt der Angeklagte. „Sie müssen eine Behandlung machen“, antwortet die Frau seinen Angaben zufolge. „Ich wollte das nicht. Ich hatte Angst. Aber wir hatten unsere Pässe schon gar nicht mehr. Die Frau hat gesagt, was wollen Sie denn machen, Sie kommen doch gar nicht mehr nach Hause.“

Irgenwann seien „die Leute“ gekommen. Er und seine Frau hätten „Kapseln“ schlucken müssen, erzählt der Mann. Seine Stimme bricht. „Ich konnte die Schmerzen kaum ertragen. Meine Frau ist ohnmächtig geworden. Ich hatte Panik. Ich dachte, sie wäre tot.“ Der erste Versuch, das Pärchen als Drogenkuriere einzusetzen, scheitert nach Angaben des Angeklagten. Doch „die Leute“ setzen ihn und seine Freundin unter Druck. Eine Woche werden die beiden in ein Haus gesperrt. „Ohne Essen“, sagt der Angeklagte. Danach ist der Wille des Pärchens gebrochen. „Es ging gar nicht mehr ums Geld, wir wollten nur noch da raus“, übersetzt die Dometscherin. „Die haben gesagt, mindestens 200 Kapseln müssen rein. Aber es ging nicht mehr. Ich habe eine Kapsel geschluckt und zehn kamen wieder raus. Es war eine Quälerei.“ Gegen den Brechreiz hätten die Leute ihm Spritzen und Medikamente gegeben.

112 Kapseln hartgepreßtes Kokain, 3,5 Zentimeter lang, 1,5 Zentimeter breit, hatte der Angeklagte laut Gutachten geschluckt. Das entspricht einer Menge von 898 Gramm. „Sie sind ja gestopft worden wie die Gänse“, bemerkt der Richter. Bei der Freundin des Angeklagten fanden die Gerichtsmediziner 100 Kapseln. Der Rein-heitsgrad des Kokains betrug 96 Prozent. „Daß das lebensgefährlich gewesen wäre, wenn eine Kapsel aufgeplatzt wäre, wissen Sie wohl heute auch“, will der Beisitzende Richter wissen. Der Angeklagte nickt. Vor seiner Reise habe er gar nicht gewußt, was Kokain ist, beteuert er. 16 Tabletten gegen Brechreiz fanden die Zollbeamten außerdem im Gepäck des Pärchens. Warum sie sich in Deutschland nicht an die Polizei gewandt hätten, will der Vorsitzende Richter wissen. „Wir hatten Angst vor dem, was auch passiert ist – verhaftet zu werden“, antwortet der Angeklagte.

Das Pärchen wird kaum auf die Milde der Richter hoffen können. Zwar hat das Landgericht Frankfurt schon 1994 erkannt, daß hohe Haftstrafen Drogenkuriere aus Südamerika angesichts der herrschenden Armut nicht abhalten (2 StR 343/94). „Generalpräventive Gesichtspunkte“ (sprich die abschreckende Wirkung) müßten bei der Strafzumessung grundsätzlich berücksichtigt werden, entschied der Bundesgerichtshof. Das heißt: Drogenkuriere wandern in den Knast – egal, ob sie ahnungslos in die Situation reingeraten oder gezwungen worden sind. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, und Abschreckung muß sein. kes

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