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„Kohl hat das letzte Gefecht nicht zugelassen“

■ Wilfried Schütte, Experte für Rhetorik und Stilistik am Institut für deutsche Sprache in Mannheim, über die sprachlichen Qualitäten zweier großer deutscher Volksschauspieler im Deutschen Bundestag

taz: Wer hat den Rhetorikpreis, die Kanzlerschaft, denn verdient?

Wilfried Schütte: Das Rededuell war unentschieden. Kohl und Schröder waren in dem Dilemma gefangen, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen und zugleich eine Zukunft zu postulieren.

Da hatte Kohl es doch strategisch schwerer; er mußte 16 Jahre bilanzieren, ohne daß es wie eine Abschiedsrede klingen durfte.

Kohl benutzte eine Konstruktion, indem er sagt: „Der Gegner hat bei früherer Gelegenheit versagt, und das ist unverantwortlich.“ Kohl belegte dies mit Zitaten und zeigte: Damit hat sich die SPD disqualifiziert.

Schröder parierte mit Zahlenkolonnen.

Nach der Hälfte der Redezeit kündigte er an: Jetzt wollen wir mal vom SPD-Programm reden. Er warf auch Fragen der Dienstleistungsgesellschaft, Modernisierung und anderes auf. Aber gleichzeitig führte er sich immer wieder zurück auf eine Beschäftigung mit der CDU. Er kam aus diesem Dilemma, sich auf den Gegner zu beziehen, nicht heraus. Er konnte nicht sagen: So, jetzt ist das Thema CDU mal erledigt.

Hat er sich zu sehr von seinem Gegner fesseln lassen?

Er hat sich durchgängig mit Kohl beschäftigt und ist sich selbst untreu geworden, die Zukunft zu beschreiben.

Haben sich Kohl und Schröder in ihrer Kommunikation aufeinander bezogen?

Als Kohl sprach, zeigte Schröder ein stoisches Rezeptionsverhalten, während Kohl anders war. Als Schröder sprach, lehnte er sich souverän in seinem Stuhl zurück. Wenn CDUler Pointen und Zwischenrufe zu Schröder gaben, demonstrierte Kohl Behaglichkeit. Kohl und Schröder haben aber den anderen sehr professionell zur Kenntnis genommen.

Schröder war im Vorteil?

Zunächst ja, weil er sich auf Kohls Rede beziehen konnte. Es schien mir aber, daß er sich zu sehr an sein Manuskript gehalten hat. Aber beide hatten ein ausgearbeitetes Redemanuskript. Kohl hat aber Souveränität demonstriert durch häufige Bezugnahme auf die Situation. Er reagierte auf Dinge, die nicht in seinem Manuskript stehen konnten, und bezog sich auf das, was im Raum vor sich ging. Wir sagen Setting-Talk dazu. Er schaffte es, kommunikative Dynamik zu entfalten. Er mußte einen Satz ganz eindringlich sagen: „Jede Demokratie braucht Leistungseliten, wenn sie eine Zukunft haben soll.“ Solche Sätze müssen als relevant markiert werden, und im Kontext dazu müssen etwa lakonisch gesagte Sätze stehen wie: „Gehen Sie davon aus, die Republik wird auf ihrem Weg bleiben.“ Das sagte er zuvor. Auch Anspielungen auf andere Politiker gehören dazu. Die Begleitsätze dürfen nicht zu sehr ausgewalzt werden. Das hat Kohl gut genutzt.

Klangen die Kandidaten glaubwürdig?

Schröder wählte kompliziertere Wortkonstruktionen, er hat sich als Staatsmann stilisiert, aber auch lakonische Bemerkungen eingestreut. Er bediente sich der Perspektivwechsel, indem er etwa sagte: „Wir wollen das nicht mehr haben“, und brachte so Probleme auf eine anschauliche Formel. Dies war der Versuch, eine Form zu finden, die der Sprache der Wähler, um die er sich bemüht, nahekommt. Dann sagt er aber auch Dinge wie: „Wir werden das machen, aber ohne die Diskriminierung der Kinder aus einkommensschwachen Familien.“ Das ist der Versuch, eine verantwortungsbewußte Perspektive von sich zu geben; er zeigt, daß er auch die Sprache der Experten spricht.

War Kohls Wortwahl geschmeidiger?

Die Technik, komplizierte Sachverhalte auf eine griffige Metapher zu bringen, beherrscht Kohl wohl besser, er spielt ja mit solchen Formulierungen. Damit demonstriert er Souveränität.

Würden Sie die Vorstellung, die die beiden gegeben haben, als lebhaft bezeichnen?

Na ja, Schröder hat ständig versucht, dies als Kohls Abschiedsveranstaltung darzustellen. Aber Kohl hat nicht zugelassen, daß es das letzte Gefecht war. Interview: Annette Rogalla

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