: „Die Genfer Konvention steht nicht zur Debatte“
■ Stefan Telöken, Sprecher des UNHCR in Deutschland, sieht die österreichischen Vorschläge gelassen
taz: Wie ernst nehmen Sie den Vorschlag des österreichischen Innenministeriums in seinem Papier zur Flüchtlingspolitik, die Genfer Flüchtlingskonvention zu ändern oder gar durch eine andere Konvention zu ersetzen?
Stefan Telöken: Der österreichische Innenminister hat ja selbst dementiert, daß es darum ginge, die Genfer Konvention abzuschaffen. Im Gegenteil: Sie soll erweitert werden, mit Blick auf die Opfer nichtstaatlicher Verfolgung. Und das würden wir natürlich begrüßen – wobei es eigentlich gar nicht notwendig wäre, sie zu erweitern, sondern nur, sie liberal auszulegen, wie das die Präambel der Konvention auch vorsieht. Die Genfer Konvention ist ein unverzichtbarer Bestandteil des internationalen Flüchtlingsrechts. Sie hat heute wie vor fünfzig Jahren Bedeutung und Gültigkeit. Die neunziger Jahre haben deutlich gezeigt, daß Völkermord und politisch motivierte Vertreibung nicht der Vergangenheit angehören.
Nun argumentiert das Papier ja gerade, daß die Konvention aufgrund der veränderten Situation der neunziger Jahre – Stichworte: Bürgerkrieg und ethnische Verfolgung – nicht mehr ausreiche und deshalb geändert oder ersetzt werden müsse.
Neben dem individuellen Asylverfahren nach der Genfer Konvention brauchen wir pragmatische Lösungen bei Situationen einer Massenflucht, insbesondere was die Aufteilung der Verantwortlichkeiten innerhalb der aufnehmenden Länder angeht. Doch das kann immer nur komplementär, zusätzlich zur Genfer Konvention passieren. Ein solches System eines vorübergehenden Schutzes kann die individuelle Möglichkeit, ein Asylverfahren aufzunehmen, natürlich nicht ersetzen. Für den UNHCR steht die Genfer Flüchtlingskonvention daher nicht zur Debatte.
Zur zukünftigen möglichen Rolle des UNHCR heißt es in dem Papier, daß er sich nicht nur mit der Situation der Flüchtlinge in den Zufluchtsländern beschäftigen, sondern auch Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpfen solle. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag?
Zum Teil beschreibt das einen Ist-Zustand: Wir sind schon längst in Konfliktgebieten tätig, so daß wir nicht zu Unrecht in der Öffentlichkeit oft als humanitäre Hilfsorganisation gelten. Eine solche Hilfe vor Ort kann aber ein funktionierendes Asylsystem nicht ersetzen. Außerdem läßt sich auch nicht immer so einfach trennen zwischen Fluchtländern und Herkunftsländern, denn viele Länder, die Flüchtlinge aufnehmen, haben gleichzeitig auch Flucht hervorgerufen. Was die Frage der Menschenrechte angeht, so hat das UNHCR hier kein Mandat – dafür gibt es den UN-Menschenrechtskommissar, der vor einigen Jahren eingesetzt worden ist. Das originäre Mandat des UNHCR ist und bleibt vor allem bestimmt durch die Genfer Konvention. Interview: Joachim F. Tornau
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